Egal, ob zum Trocknen oder Erhitzen: Ohne Dampf läuft in der Chemiebranche oftmals nichts. Denn Wasser im gasförmigen Zustand ist eine Basiszutat vieler Verfahren. Sei es, um Reaktoren zu betreiben, Stoffe gezielt zu trennen oder zu destillieren. Das Problem: Ihn zu produzieren, ist energieintensiv. Und einmal erzeugt lässt er sich nur kurzfristig speichern. Jetzt macht KI technischen Dampf intelligent: Datengesteuert lässt er sich präziser herstellen, Energie einsparen und immer nur so viel heiße Luft produzieren, wie auch benötigt wird. Weniger heiße Luft dank KI? Gewissermaßen schon, wenngleich die Hannover Messe dieser Tage gezeigt hat, wie viel Dampf KI in der Industrie heute insgesamt erzeugt: Ohne KI ist alles nichts.
Vom Büro über die Cloud bis in die Fabrik, die Unternehmen haben elektrifiziert, automatisiert und digitalisiert. Und das mit großem Erfolg, wie Zahlen von LBBW Research zeigen: Das Marktvolumen deutscher Unternehmen, die auf digitale Technologien setzen, wird bis 2028 durchschnittlich auf rund 18 Milliarden Euro wachsen – ein Plus von 10 Prozent pro Jahr. Und dieser Trend wird sich fortsetzen. Auch, weil jetzt Algorithmen in jeden einzelnen industriellen Prozessschritt einziehen – um Anlagen zu warten, Lager automatisch zu bewirtschaften, Verfahren im digitalen Zwilling zu simulieren und die Qualität von Produkten zu steigern. KI und Daten treiben diese Entwicklung an. Und das auch ganz real: Autonome Roboter transportieren Bauteile an Fertigungslinien, Cobots schweißen, bohren und fräsen Hand in Hand mit Menschen, wechseln Reifen und zapfen sogar Bier – all das war in Hannover zu sehen.
Chatbots programmieren, konstruieren und optimieren
Was nicht zu sehen war, das versuchten Cloud Anbieter vor Ort zu zeigen: Algorithmen, die virtuell verborgen in großen Rechenzentren oder kleinen Edge-Einheiten Informationen verarbeiten, analysieren und auswerten, um Muster zu erkennen, Wahrscheinlichkeiten vorauszuberechnen und sich selbst lernend und selbst organisierend weiterzuentwickeln, zu verbessern und zu perfektionieren. Welche dennoch sichtbaren Resultate liefert das? Chatbots wie diese: Beckhoff lässt smarte Assistenten grafische Benutzeroberflächen programmieren – eine einfache Skizze von Hand reicht aus. Festo integriert Konstruktions- und Fertigungsdaten in seinen Virtual Assistant – am Ende schlägt der Bot passende Lösungen und Systeme vor. Und SAP reduziert Risiken im Product Lifecycle Management – Joule spielt unterschiedliche Revenue-at Risk-Optionen durch und optimiert menschliche Entscheidungen.
Weniger Risiko, mehr Umsatz: Microsoft und Rolls-Royce zeigten am Messestand, wie das ebenfalls aussehen kann. Um Triebwerke wettbewerbsfähiger zu entwickeln und ihr Design zu optimieren, sprengt der britische Hersteller seine Datensilos, schließt sie in Clouds zusammen und verbindet sie mit skalierbaren KI-Modellen. Das Ergebnis: Rolls-Royce nutzt Informationen im Engineering und lastet Produktionskapazitäten besser aus. Was früher Tage dauerte, gelingt jetzt binnen weniger Minuten – KI aus der Cloud macht es möglich.
Datendurchlaufzeiten entscheiden über KI-Erfolg
Was die Hannover Messe außerdem nicht zeigen konnte, weil es ebenso selbstverständlich wie KI in Robotern, Chatbots und neuerdings auch Dampf steckt: Konnektivität als die zentrale und entscheidende Kraft, die CNC-Maschinen, Steuerungen, Lagersysteme, Transportbänder und Anlagen erst mit Cloud und Edge-Devices verbindet, um Daten auszutauschen und ökonomisch nutzbar mit smarten Services zusammenzuschalten. Warum Konnektivität so wichtig ist: Weil die Zeit, die während einer Datenübertragung in einem Netz vergeht, entscheidend für den Erfolg von KI ist. Wenn, wie Untersuchungen von Meta zeigen, KI-Modelle 33 Prozent ihrer Zeit auf Netzwerke warten, heißt das nichts anderes, als dass Algorithmen in einer immer stärker vernetzten Industrie ihr Potenzial ebenso verschenken. Und das zum Nachteil latenzsensibler, Echtzeit- und Sicherheits-kritischer Anwendungen, bei denen Zeit nicht nur sprichwörtlich Geld ist.
Peering minimiert Durchlaufzeiten
Um die bestmögliche Performance digitaler Applikationen und Dienste sicherzustellen, suchen Betreiber von digitaler Infrastruktur wie DE-CIX nach Wegen, um Durchlaufzeiten in Netzen zu minimieren und dabei Daten, Anwendungen und Nutzer physisch näher zueinander zu bringen. Lassen sich Pfade, auf denen Informationen zwischen Cloud, Edge und Shop-Floor unterwegs sind, physisch verkürzen, kommen Daten – und KI – schneller ans Ziel. Fest steht auch: Um industrielle Anforderungen zu erfüllen und Wartezeiten für Algorithmen zu minimieren, braucht es mehr Rechenzentren, mehr Glasfaser, mehr Breitband und zudem 5G-Mobilfunk und erdnahe LEO-Satelliten, die Lücken schließen und Netze zusammenschalten können: Denn der zumeist kostenneutrale Austausch von Daten direkt zwischen Unternehmen, Clouds, Netzwerken und IT-Anbietern an Internetknoten (auch genannt Peering) maximiert Bandbreiten und minimiert Datendurchlaufzeiten.
Glasfaser, Mobilfunk und Rechenzentren – just zeichnet sich für die digitale Infrastruktur in Deutschland nicht nur in Hannover eine neue Perspektive ab. Mit dem Sondervermögen möchte die Bundesregierung den Verschleiß im Land stoppen und den Standort wettbewerbsfähiger aufstellen. Ein Schritt, den die Mehrheit der Deutschen begrüßt, wie eine aktuelle, repräsentative Umfrage von YouGov im Auftrag von DE-CIX zeigt: Für 79 Prozent der Befragten ist eine leistungsfähige digitale Infrastruktur eine Voraussetzung für die Zukunft des Wirtschaftsstandorts. 80 Prozent erachten es als wichtig oder sehr wichtig, dass erheblich in den Ausbau investiert wird. Mit Blick auf das Sondervermögen befürchten 43 Prozent, dass die Digitalisierung im Vergleich zu anderen Bereichen zu kurz kommt – nur 32 Prozent teilen diese Sorge nicht.
Eine bessere Infrastruktur, um KI auf Volldampf zu bringen? Für den Industriestandort Deutschland ist dies das Gebot der Stunde. Denn egal ob hierzulande auf der Hannover Messe oder anderswo: Am Ende ist KI nicht alles – aber ohne KI ist alles nichts.
Ivo Ivanov
ist seit 2022 Chief Executive Officer bei DE-CIX und Vorstandsvorsitzender der DE-CIX Group AG.
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