Analyse zum CeBIT-Start: Die paradoxe Datability-Welt

Auf der CeBIT wollen 2014 viele Hersteller und Systemhäuser zeigen, ob und wie sie die Probleme der Welt mit Hilfe vergleichsweise wenigen Algorithmen beschreiben und auf Basis von riesigen Datenspeichern und gigantischen digitalen Netzwerken lösen wollen. Eine große Aufgabe – und für die Verantwortlichen in Sales und Marketing könnte es eine gute Nachricht sein, dass die Menschheit die Probleme nicht sofort in den Griff bekommen wird. Denn das Internet steht am Anfang – heute sind weniger als ein Prozent aller Dinge auf und rings um unseren Planeten mit dem Netz verbunden.

Dies kann sich aber in den nächsten Monaten und Jahren rasant ändern: So erwartet Dave Evans, Chief Futurist bei Cisco Consulting Services, dass bis zum Jahr 2020 etwa 50 Milliarden „Dinge“ mit Sensoren, Kameras, Mikrochips und Sender ausgerüstet sind. Evans bezeichnet sie als „Intelligente Dinge“ – er meint beispielsweise Autos oder Kühlschränke, Kleider oder Computer.

Evans beschreibt das sogenannte „Internet of Everything“ als „die Zusammenführung von Menschen, Prozessen, Daten und Dingen“. Cisco rechne damit, dass die neuen Netzwerke wirtschaftliche Chancen für Menschen, Unternehmen und Nationen begründen. Evans exerziert dazu eine kleine, theoretische Rechenaufgabe vor: Je mehr Dinge die Unternehmen mit den weltweiten Netzwerken verbinden, desto schneller wachse die Gesamtzahl der Verbindungen, die über das Internet hergestellt werden müssen.

Der Cisco-Experte nimmt an, dass heute rund 10 Milliarden „Dinge“ – Autos, Smartphones, Kühlschränke, Maschinen – an das Internet angebunden sind. In seiner Rechnung kommuniziert jedes dieser Dinge mit lediglich 0,001 Prozent der anderen Dinge. Für das Internet bedeutet dies das Herstellen und Aufrechterhalten von theoretisch 499.999.999.950.000 Verbindungen. Bis zum Jahr 2020 könnte sich nach Evans Meinung die Zahl der Dinge, die miteinander Daten austauschen, auf rund 50 Milliarden erhöhen.

Damit steigt die Zahl der theoretisch erforderlichen Verbindungen auf 13.311.666.640.184.600. Über die weltweiten Netze, Datenspeicher und Rechenzentren sind diese intelligenten Dinger miteinander verbunden und tauschen Daten aus. Sinn von Vernetzung und Kommunikation ist es, die Welt „smarter“ zu machen.

Das CeBIT-Thema Datability

Die CeBIT nennt dieses Konzept „Datability“ und für viele klingt das nach einer kruden Mischung aus Raketentechnologie und Esoterik. Der Name der Software, die all diese Hardware steuern und deren Daten organisieren soll, heißt Big Data. Keine Frage: Medien, Politiker und IT-Experten lieben Big Data. Von A wie „Allgemeine Gesundheit“ über T wie „Terrorismus“ bis Z wie „Zugverbindungen“ – in den Anwendungen und den Datensammlungen der Big Data Systeme vermuten sie die Lösung aller Probleme dieser Erde.

„Viele Unternehmen und Regierungsstellen pflegen die Illusion, dass Klassifizierung ein Bereich ist, der den Gesetzen der Algorithmen ohne Widerspruch gehorcht. Die Big-Data-Ergebnisse sind angeblich neutral, umfassend und können von Maschinen selbstständig und automatisch berechnet und visualisiert werden. Aber die Realität ist eine bei weitem chaotischere Mischung aus technischer und menschlicher Organisation“, geben Cynthia Dwork, Distinguished Scientist, Microsoft Research und Deirdre K. Mulligan, Professor der School of Information, Berkeley Law, in einer gemeinsamen Analyse zu bedenken.

Aber sie sind nicht die einzigen, die Big Data in Frage stellen. Die Technologie selbst sei kaum hinterfragt. Die Erwartungen in Big Data beruhten zum größten Teil auf Versprechungen, was diese Technologie eines Tages – vielleicht – leisten könne.
Aber neben den technischen Bedenken diskutieren die Experten auch ethische Fragen. Neil M. Richards, Professor an der Washington University und Jonathan H. King, Vice President bei Savvis haben in einer gemeinsamen Analyse drei Paradoxien der Big Data Technologie beschrieben:

Das Transparency Paradoxon

Big Data verspreche das Leben der Menschen transparent und komfortabel zu machen. Allerdings laufe Entwicklung und Betreiben der Big Data Technologie im Verborgenen und Geheimen ab. Während die Menschen transparent würden, würden sich die Besitzer der Systeme genau dieser Transparenz verweigern.

Das Identity Paradoxon

Big Data gebe das Versprechen, die Menschen und ihre Wünsche zu identifizieren und zu beschreiben – aber in Wirklichkeit spielten die Systeme mit der Identität der Menschen. „Die Macht von Big Data ist die Macht, Informationen zu benutzen, um Menschen zu lenken, zu überzeugen, zu beeinflussen und sogar deren Identität einzuschränken.“ Richards und King sehen die Gefahr, dass Menschen ihre Identität verlieren.

Das Power Paradoxon

Die Intention von Big Data sei es, den Menschen ein klares und scharfes Bild der Wirklichkeit zu zeigen. Tatsächlich aber lägen Gewalt und Steuerung der Systeme in den Händen der falschen Anwender. Denn nur einige sehr mächtige Organisationen analysierten die Daten und publizierten die Ergebnisse. Die Big Data Werkzeuge könnten deshalb nicht denjenigen dienen, denen sie eigentlich helfen sollten, nämlich den „ganz normalen Menschen“.

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Peter Marwan

Für ZDNet veröffentlicht Peter immer wieder Beiträge zum Thema IT Business.

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