„Spy Files“: Wikileaks veröffentlicht Daten zur Überwachungsindustrie

Wikileaks hat annähernd 300 Dateien mit insgesamt 1100 Dokumenten veröffentlicht, die einen Einblick in das Milliardengeschäft der Überwachungsindustrie geben. Wikileaks-Mitgründer Julian Assange warnte davor, dass diese weitgehend geheim operierende Branche gefährlicher sei als der militärisch-industrielle Komplex, den US-Präsident Eisenhower 1961 in seiner Abschiedsrede als eine Bedrohung von Freiheit und Demokratie bezeichnete. „Wir leben in einer Welt, in der es nicht nur theoretisch möglich ist, die gesamte Telekommunikation eines Landes, alle Telefongespräche aufzuzeichnen. Es gibt zudem eine internationale Industrie, die Geräte dafür verkauft“, sagte Assange in einem Video-Interview.

Unter dem Titel „Spy Files“ hat Wikileaks eine Sammlung von Marketingmaterialien und technischen Dokumenten online gestellt, die 160 Firmen aus 25 Ländern betreffen. Es handelt sich dabei nicht um typische „Whistleblower“-Enthüllungen wie von Wikileaks gewohnt, sondern um das Ergebnis einer umfangreichen Recherche, an der das Bureau of Investigative Journalism in Großbritannien sowie die Partnerorganisation OWNI in Frankreich beteiligt waren. Zu den Medienpartnern der Veröffentlichung gehören die ARD, die Washington Post sowie das italienische Wochenmagazin L’Espresso.

Neben bereits öffentlich zugänglichen Dokumenten handelt es sich beispielsweise um Präsentationen bei Konferenzen, die den Mitarbeitern von Polizeibehörden, Geheimdiensten und Telekommunikationsdienstleistern vorbehalten waren. Die beliebteste Konferenz dieser Art findet im Nahen Osten statt und zog in diesem Jahr 1300 Teilnehmer an. Nach einem Bericht der Washington Post sind es auch die Regierungen in Nahost, die zu „den eifrigsten Käufern von Software und technischer Ausrüstung für die Überwachung“ gehören. Was die Anbieter der 5-Milliarden-Industrie als „legale Telekommunikationsüberwachung“ bezeichnen, werde überwiegend in den USA und anderen westlichen Ländern entwickelt, gerate aber oft in die Hände repressiver Regierungen wie Syrien, Iran und China.

Amesys, das zum französischen IT-Unternehmen Bull gehört, rühmt sich in einem der veröffentlichten Dokumente, wie es Regierungen beim Abhören helfen kann – von einer einzelnen Person bis zur „Traffic-Überwachung des ganzen Landes“. Das schließt automatische Übersetzung und die Kartierung Sozialer Netze in der realen Welt ein, die anhand der Gespräche zwischen den Teilnehmern ermittelt werden.

Diese Überwachungstechnik verkaufte Amesys – angeblich mit Zustimmung des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy – auch an Libyen. Das Wall Street Journal beschrieb im August eine Anlage, die die Geheimpolizei von Muammar al-Gaddafi zur Überwachung des Internet-Traffics in Libyen nutzte – und darin fielen Logos, Handbücher sowie Plakate von Amesys auf. Das Unternehmen gestand im September ein, „Analyse-Hardware“ an Libyen verkauft zu haben, die dem Kampf gegen den Terrorismus dienen sollte. Die Erklärung von Amesys enthielt zugleich eine vage Androhung juristischer Maßnahmen gegen jeden, der seinen „Ruf oder Ansehen beeinträchtigen“ könnte.

Nach Recherchen des MDR-Magazins Fakt lieferte ein deutsches Unternehmen Spionagesoftware, die der ägyptische Geheimdienst gegen Regimekritiker einsetzte. Die Software „Finfisher“ soll ihm erlaubt haben, Computer auszuspionieren, Mobiltelefone abzuhören und Bewegungsprofile zu erstellen. Bislang unterliegt die Ausfuhr einer solchen Technik keiner Genehmigungspflicht. Die Überwachungsindustrie ist praktisch weltweit unreguliert.

Es geht nicht nur um „gute westliche Länder“, die an autoritäre Regime und Diktaturen verkaufen, betont Wikileaks. Die gleichen Unternehmen versorgten vielmehr auch westliche Geheimdienste mit Ausrüstung zur Massenüberwachung. Es reiche daher nicht aus, sich auf eine in Zukunft vielleicht bessere Regulierung dieser Industrie zu verlassen, argumentiert Julian Assange: „Wir müssen vielmehr als Einzelne verschiedene Formen von Verschlüsselungstechnik sowie Mittel zum Datenschutz einsetzen und die verschiedenen Risiken für unsere Privatsphäre verstehen.“ Werde das versäumt, laufen nach seiner Einschätzung auch westliche Länder Gefahr, zu totalitären Überwachungsstaaten zu werden. Da das gesellschaftliche Leben sich immer mehr ins Internet verlagere, drohe ein nie dagewesenes Überwachungsszenario: „Das ist eine beunruhigende Situation für die westliche Demokratie.“

ZDNet.de Redaktion

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