Wäre der Dioxin-Skandal durch IT vermeidbar gewesen?

Die Lebensmittelbranche ist durch die EU-Verordnungen Nummer 178/2002 sowie 1935/2004 verpflichtet, die Rückverfolgbarkeit ihrer Produkte sowie aller Materialen und Gegenstände mit Lebensmittelkontakt sicherzustellen. Bereits 2004 hat GS1 gemeinsam mit der deutschsprachigen Konsumgüterwirtschaft einen Leitfaden zur Rückverfolgbarkeit erarbeitet, der die Mindestinformation bei der Kennzeichnung von Produkten und Versandeinheiten zum Handel hin festlegt. In der öffentlichen Diskussion werden diese Bemühungen vielfach mit dem Einsatz von RFID gleichgesetzt. Diese Technologie ist auch bereits in mehreren großangelegten Projekten untersucht worden.

Vor zwei Jahren, zur CeBIT 2009, hat IBM die Ergebnisse (PDF) des gemeinsam mit den Universitäten Hohenheim und Göttingen, der Tierärztlichen Hochschule Hannover und fast 30 anderen Einrichtungen durchgeführten Forschungsvorhabens IT-FoodTrace vorgestellt. Ziel war es, Tierhaltungssysteme, Gesundheitsdaten, Lieferantenbewertungen und die Schnittstellen dazwischen in vereinheitlichte Datenformate zu bringen und digital abzubilden. Weiter wurden juristische Fragen um Datenrecht und Datenschutz geklärt. Die Erkenntnisse flossen in ein einheitliches, für alle Beteiligten akzeptables IT-Konzept ein.

IT FoodTrace

„Mit IT FoodTrace haben wir ein Modell für ein integratives IT-Gesamtsystem, das die Interessen aller Beteiligten von Wirtschaft, Politik, Verwaltung und Verbrauchern zufriedenstellend löst, auf Machbarkeit geprüft ist und die komplette Wertschöpfungskette für Fleisch vom Futtermittel bis zum Verbraucher abdeckt“, sagte Professor Rainer Doluschitz, wissenschaftlicher Sprecher des Projektes, auf dem Abschlusskolloquium an der Universität Hohenheim. Allerdings, so Kirsten Brockhoff, für IBM Deutschland damals Mitglied im Projektvorstand von IT FoodTrace, habe sich in den Gesprächen mit Vertretern aller Interessensgruppen gezeigt, dass Erfolg und Akzeptanz auch stark davon abhängen, dass eine noch einzurichtende Organisation neben IT-Kompetenzen auch umfassende Branchenkenntnis besitze.

Das Fraunhofer IML (Institut für Materialfluss und Logistik) hat als Antwort auf die zunehmende Anzahl von Fleischskandalen im Auftrag des Landes Nordrhein-Westfalen und mit Unterstützung durch Siemens das Projekt MeatRFID durchgeführt. Dessen Zielsetzung war es, mittelständische Unternehmen aus der fleischverarbeitenden Industrie auf den RFID-Einsatz zur Rückverfolgung einzustellen. Dazu wurden relevante Vorschriften und Richtlinien untersucht und im Hinblick auf den RFID-Einsatz bewertet. Zudem entstand ein Kalkulationstool zur Kosten-Nutzen-Bewertung, das zum Download angeboten wird.

MeatRFID

Die RFID-Einsatzmöglichkeiten erprobten die Fraunhofer-Experten in mehreren Betrieben in der Praxis. Der Lebensmittelkonzern Vion erprobte die Technologie in einem Pilotprojekt beim Wareneingang und in der Zerlegung ein. Er installierte gemeinsam mit dem Institut ein RFID-basiertes System zur Rückverfolgung von Fleischprodukten. Der Schlachtbetrieb Danish Crown ersetzte die bis dahin üblichen Tätowierungen der Tiere, bei denen der Aufwand für die Erfassung groß ist, durch Transponder.

Die Schweizer Bell AG, ein Zerlegebetrieb, nutzt anstatt Etiketten, die zur Markierung von Produkten und Behältern in der Weiterverarbeitung oft unpraktisch waren, nun RFID-Technologie. Und die Freiburger Großmetzgerei Eugen Gruninger erprobte mit dem Institut ein RFID-System zur Kennzeichnung von Umverpackungen und Paletten, um die Kommissionierung und den Versand zu optimieren sowie die Rückverfolgbarkeit zu erhöhen.

Die Metro AG, die im Rahmen ihres „Future Store“ schon seit Jahren mit RFID experimentiert, beteiligte sich ebenfalls an den Feldversuchen: Sie versieht Verpackungen mit frischen Fleischwaren aus der eigenen Metzgerei des Vorzeigemarktes mit RFID-Chips. So kann die „intelligente Kühltruhe“ automatisch den Warenbestand kontrollieren, bei Bedarf Nachschub anfordern und über ablaufende Mindesthaltbarkeitsdaten informieren.

Der RFID-Einsatz beschränkt sich aber nicht nur auf die Verarbeitung, sondern kann auch bei der Aufzucht helfen. Beispielsweise lassen sich Rinder mit einem Ohrchip von der Größe einer Zweieuromünze eindeutig identifizieren. Im Zusammenspiel mit einer Erkennung an Futter-, Tränk- und Melkautomaten wird nachvollziehbar, wieviel und welches Futter das Tier bekommen und welche Mengen Milch es gegeben hat. Außerdem lässt sich beispielsweise die Krankheitshistorie auf dem Chip speichern. Ein vergleichbares System wurde vor ungefähr zwei Jahren für rund 80.000 Rinder in Malaysia eingeführt.

„Unterm Strich zeigte sich, dass die Technologie ein ergänzendes Instrumentarium sein kann, das gerade kleinen und mittelständischen Unternehmen einen Vorsprung in der Unterstützung der Rückverfolgbarkeit bietet und dabei den Materialfluss verbessert“, sagt Christian Meiß, Leiter des openID-center am Fraunhofer IML. „Das Land NRW hat diese Technologie soweit gefördert und unterstützt, dass der Zugang auch für KMUs möglich wurde“, so Meiß. Im demnächst neu eröffnenden openID-center des Fraunhofer IML in Dortmund wird die Arbeitsweise der Technologie im realen Betrieb demonstriert.

Weitere Lösungen mit und ohne RFID

Der Bundesverband IT-Mittelstand e.V. unterhält bereits seit einiger Zeit eine RFID-Fachgruppe. Auch ihrer Ansicht nach sind Lösungen verfügbar, die Transparenz in der Lieferkette ermöglichen und helfen, Probleme frühzeitig zu entdecken. Anbeiter seien etwa die BITMI-Mitgliedsfirmen AEG Identifikationsysteme und Euro I.D. Identifikationssysteme. Damit auch in der Lieferkette Transparenz auf Knopfdruck funktioniert, gebe es die Möglichkeit, Meldungen von Produkten und Chargen sowie deren Beschaffenheit an zentrale Portale zu senden. Dort könne dann jeder Partner zusätzliche Informationen abrufen.

Vielfach erscheint in der Lebensmittelindustrie, einer Branche mit geringen Margen, die Nutzung eines RFID-Transponders für einzelne Verpackungseinheiten aber zu teuer. Es geht aber auch anders: Verbreitet ist beispielsweise der Einsatz des GS1-Transportetiketts, auf dem im GS1-128 Strichcode standardisiert die Nummer der Versandeinheit (NVE) als eindeutige Packstückreferenz sowie weitere, für die Rückverfolgbarkeit relevante Daten, zum Beispiels die GTIN (Globale Artikelidentnummer, früher EAN) und die Chargennummern oder Mindesthaltbarkeitsdaten abgebildet werden können. GS1 kann dafür auf zahlreiche Referenzkunden auch aus der Lebensmittelbranche verweisen. Außerdem ist mit GS1-Standards seit Schweinepest und Rinderseuche sogar eine Einzeltierverfolgung möglich.

Die Entwicklung ausgewählter Lebensmittelpreise von 1972 bis 2009 - zusammengestellt vom Deutschen Bauernverband nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes (Grafik: Deutscher Bauernverband).
Die Entwicklung ausgewählter Lebensmittelpreise von 1972 bis 2009 – zusammengestellt vom Deutschen Bauernverband nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes (Grafik: Deutscher Bauernverband).

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1 Kommentar zu Wäre der Dioxin-Skandal durch IT vermeidbar gewesen?

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  • Am 17. Januar 2011 um 18:26 von Dirk Spannaus

    Es muss nicht mal zwingend RFID sein
    Vielleicht als ergänzender Kommentar, da oft der Eindruck entsteht Nachverfolgung benötigt unbedingt RFID:
    Es gibt verschiedene einsetzbare AutoID Technologien mit verschiedenen Vor- und Nachteilen (Kosten, Funktionalität) zur eindeutigen Kennzeichnung. In vielen Fällen könnte sicher auch ein eindeutiger Barcode genutzt werden, z.B. in Form eines Datamatrix / QuickResponse Codes.

    (Ja die könnten zwar kopiert werden, aber das könnte über das IT System mit Plausibilitätsprüfungen erkannt werden.)

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