Microsoft: Bloß nicht innovativ werden!

Microsofts neuer Chief Software Architect Ray Ozzie hat kürzlich verlauten lassen, die reaktive Firmenkultur sei die größte Hürde, um innovativ zu sein. Das stimmt vielleicht, aber ZDNet-Autor Robin Harris glaubt nicht, dass die Welt eine innovative Firma Microsoft überhaupt braucht: Einfach nur Kompetenz wäre seiner Meinung nach bereits eine ausreichende Verbesserung. Ozzies Aussagen in einem Artikel von Steven Levy im Magazin Wired sind sehr offen und aufschlussreich. Der Mann, ...

Microsofts neuer Chief Software Architect Ray Ozzie hat kürzlich verlauten lassen, die reaktive Firmenkultur sei die größte Hürde, um innovativ zu sein. Das stimmt vielleicht, aber ZDNet-Autor Robin Harris glaubt nicht, dass die Welt eine innovative Firma Microsoft überhaupt braucht: Einfach nur Kompetenz wäre seiner Meinung nach bereits eine ausreichende Verbesserung.

Ozzies Aussagen in einem Artikel von Steven Levy im Magazin Wired sind sehr offen und aufschlussreich. Der Mann, den Bill Gates einmal als „einen der fünf Top-Programmierer des Universums“ bezeichnet hatte, war den Microsoft-Geschäftspraktiken gegenüber lange Zeit kritisch eingestellt.

Jetzt sagt Ozzie, Microsoft trete seit der Anti-Trust-Verurteilung nicht mehr aggressiv auf. Da kann man nur hinzufügen: Ja, und seit dem Vista-Fiasko tritt Microsoft auch nicht mehr kompetent auf.

Doch noch einmal kurz zurück zu Ozzies bei „Wired“ geschilderter Sicht der Dinge: „Unsere größte Herausforderung ist wahrscheinlich eine interne.“ In seiner ganzen Firmengeschichte habe Microsoft Wettbewerber dämonisiert – unabhängig davon, ob sie eine ernsthafte Gefahr für das Unternehmen darstellten oder nicht – und sich dann in Opposition zum angenommenen Gegner definiert. Nun ruft Ozzie seine Mitarbeiter dazu auf, selbst Innovationen anzustoßen, statt lediglich gegen andere anzukämpfen. „Jeden Tag treffen wir eine Entscheidung darüber, ob wir gegen den äußeren oder den inneren Wettbewerb antreten“, sagt er, und weist deutlich darauf hin, dass der zweite Weg der wesentlich bessere sei.

Einen Gegner zu verteufeln ist sicher eine effektive Maßnahme, um zu Maßnahmen zu motivieren. Oder vielmehr, um Aktionismus auszulösen. Aber Innovation braucht sowohl Überlegung als auch Maßnahmen: Was ist wichtig? Wie soll es funktionieren? Warum jetzt? Welche Technologien werden benötigt?

Microsoft ist aber nicht außergewöhnlich innovativ – und ist es auch nie gewesen. Das Unternehmen hat MS-DOS und PowerPoint zugekauft. Es hat die Mac-Benutzeroberfläche kopiert – die wiederum zum Großteil durch Xerox PARC inspiriert war- und VisiCalc ebenso wie Lotus 1-2-3 abgekupfert, um daraus Excel zu machen. Diese Liste ließe sich noch lange fortführen.

Eigentlich ist das auch keine schlechte Sache. Innovation ist ein riskantes Geschäft, das nur wenige Firmen gut beherrschen. Zur Bestätigung muss man sich nur die vielen Fehlschläge und das begrenzte Produktportfolio des vielgelobten Wettbewerbers Apples anschauen. Dessen Erfolg basiert auf der Konzentration auf eine vage und schwer zu erfassende „User Experience“, auf Multimedia und Industriedesign. Apple spielt um viele kleine Einsätze – von denen manche, wie der iPod, große Gewinne einbringen – und lediglich um ein paar große, etwa mit dem iPhone.

Microsofts wahre Stärke ist dagegen das Verbreitungsnetzwerk: Hunderttausende von Entwicklern, Fachhändlern, Beratern und Systemhäusern. Sie alle wollen auf bereits getätigte Investitionen in Microsoft-Technologie aufbauen. Oder anders gesagt: Sie wollen keine Revolution. Sie alle wollen eine profitable Evolution.

Ozzie hat das verstanden. Windows Azure, das neue Cloud-OS, wird bestehende Microsoft-Tools wie VisualStudio und .NET unterstützen sowie SharePoint und Live Services mitnutzen. Dazu sind keine großen Investitionen notwendig – was nach dem Vista-Debakel eine sehr gute Nachricht ist.

Microsoft tut also wieder, was es am besten kann: Innovationen von anderen zu kopieren und dank der riesigen Microsoft-Gemeinde salonfähig zu machen. Und in Redmond hat man genug Geld, um darauf warten zu können, dass Google und Amazon einen Fehler machen, um dann plötzlich vorzupreschen.

Google, der Hightech-Gigant mit dem schlechtesten Marketing, wird sein Pulver unnütz verschießen. Der fehlende Fokus und ein abnehmender Cashflow wird Google dann zu Kompromissen zwingen, die weh tun werden. Ob das Ende von Lively schon ein solcher Kompromiss oder ob es lediglich ein misslungener Innovationsversuch war, ist derzeit schwer zu sagen.

Amazon ist Windows Azures stärkster Wettbewerber. Die über 400.000 Entwickler im Umfeld von Amazon Web Services bilden inzwischen eine Gemeinschaft, die der von Microsoft gefährlich werden könnte. Unglücklicherweise steht es mit der Verfügbarkeit von AWS nicht zum besten, und Amazons hohe Abhängigkeit vom Einzelhandel könnte bei einer länger anhaltenden, ungünstigen Wirtschaftslage zur Achillesferse werden.

Fazit: Zwar wären die Microsofties gerne die Löwen der Hightech-Party, sie sind es aber nicht. Wir können schließlich nicht alle Ferraris, Raketen und Supercomputer entwickeln. Wir brauchen auch Menschen, die Straßen, Tunnel und Kläranlagen bauen oder die sich um das Stromnetz kümmern. Das ist nicht innovativ, aber notwendig. Und wenn man es richtig macht, noch dazu hoch profitabel.

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