Die Systems hat zu sich selbst gefunden

In zwei Jahren Branchenkrise hat die Überheblichkeit des Messe-Marketings deutlich abgenommen, mit einem erstaunlichen Ergebnis: Die Messe ist zu sich selbst gekommen. Doch ist die neue Bescheidenheit von Dauer?

Erwartungen an Messen sind längst ritualisiert. Die Finanziers aus Stadt und Land erwarten ebenso Besucher- und Aussteller-Rekorde wie die Öffentlichkeit und die Industrie.

Vor allem soll sich in der Veranstaltung die internationale Bedeutung der Region spiegeln. Obwohl diese Erwartungen in aller Regel unrealistisch sind bemühen sich die Veranstalter immer wieder mehr oder weniger redlich darum sie zu erfüllen. In guten Zeiten lassen sich Einbrüche schon mal durch Rabatte bei den Standgebühren, mit Unterstützung für die Gemeinschaftsstände exotischer Länder oder – immer wieder beliebt – durch Schulausflüge zur Messe kaschieren. Es entsteht eine gefährliche Spirale immer höherer und unrealistischerer Erwartungen.

Inzwischen leben wir in schlechteren Zeiten und die Systems befindet sich wieder einmal in einer tiefen Talsohle. Als sie Mitte der 90er Jahre am Ende zu sein schien, rettete sie der Umzug in das neue Messegelände am ehemaligen Flughafen Riem. Die Messeleitung nutzte 1998 mit durchschlagendem Erfolg die Gelegenheit alte Zöpfe abzuschneiden, die Hallen nachvollziehbar zu strukturieren und die Attraktivität vor allem durch Diskussionsveranstaltungen zu erhöhen. Die folgenden Boomjahre belebten jedoch auch die unrealistischen Erwartungen wieder.

In dramatischer Selbstüberschätzung hatte sich der damals frisch designierte Messechef Klaus Dittrich vorgenommen, für die gesamte Branche von München aus „einen Stimmungswandel einzuleiten“. Trotz halb leerer Hallen unterstrich er diesen globalen Anspruch, indem er die Systems als europäische Zentrale der Händlerschaft positionierte und den „Tigern Osteuropas“ (Estland, Lettland und Litauen) als Sprungbrett in die westlichen Märkte anbot. Diese Länder haben sich in diesem Jahr eine andere Plattform gesucht.

Die Überheblichkeit hat in zwei Jahren Branchenkrise deutlich abgenommen, mit einem erstaunlichen Ergebnis: Die Messe ist zu sich selbst gekommen. Seit diesem Jahr gilt eine Wirklichkeit als Konzept, gegen die sich die Messeleitung jahrzehntelang sträubte. Die Systems ist eine Regionalmesse mit dem Mittelstand als zentraler Zielgruppe. Erst diese nüchterne Positionierung ermöglicht es, ihre Kunden so bedienen, wie sie es brauchten. Nun geht es nicht mehr darum globale Trends zu setzen, sondern darum sie in verständliche und wirtschaftliche Lösungen zu übersetzen. Die Hersteller verwirren ihr mittelständisches Publikum nicht mehr mit großindustriellen Problemen wie Rechenzentrums-Automatisierung oder globalen Währungs-Features für die Betriebswirtschaft. Vielmehr werden Führungen für Rechtsanwälte oder Einzelhändler veranstaltet, auf denen sie erfahren welche Lösungen am besten zu ihrer Branche passen könnten. Die ermutigenden Reaktionen am ersten Messetag zeigen, dass das Konzept angenommen wird und die Veranstalter eine gute Chance haben ihr Ziel zu erreichen, wenigstens die Zahl der Besucher gegenüber dem Vorjahr zu halten.

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4 Kommentare zu Die Systems hat zu sich selbst gefunden

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  • Am 28. Oktober 2003 um 10:20 von Dr. Horst Lüning

    Ist die Messe noch interessant?
    Auch dieses Jahr war ich wieder in der Systems. Vermutlich aber das letzte Mal.
    Ein paar Ärgernisse:
    20min Anstehen fürs Registrieren; völlig verrauchte Hallen, sehr teures Essen (Brötchen 5 EUR), schlechtes Eis (Schöller), Eintrittspreis +3,6%; Parkplatz +40%. Dazu kam noch, dass die Firmen zwar angeblich da waren (irgendwo auf Gemeinschaftsständen) aber keine Leute zum Kontakten präsent waren. In Summe war das für mich die magerste und teuerste Systems, die es je gab. Mit Parkplatzsuch im Irrgarten Parkhaus(mit fehlleitender Lichtzeichenanlage) und Registrierung hat mir die Messeleitung zusätzlich noch 10% meiner Messezeit gestohlen. – Was für ein Unsinn.
    Das wird nicht besser, wenn man die Skandale der Geldverschwendung in der städtischen Messegesellschaft sieht. Ein Badesee steigt von 12m auf 20m – aber es gibt keine Anwohner, die dort baden könnten. Geldabfluss auch über die Solaranlage auf dem Dach. Die wird zwar irgendwann sich rentieren, aber heute laufen die Zinsen. Weitere Hallen werden zusätzlich gebaut, obwohl niemand sie wirklich braucht. Da kann die Systems machen, was sie will – Der Standort München wird teurer und teurer und der Mittelstand kann keine Preiserhöhungen vertragen geschweige denn bei seinen Kunden durchsetzen.

    Vielleicht ist das Scheitern der Messe in 1 oder 2 Jahren vorprogrammiert.

    Außerdem sollte berücksichtigt werden, dass die Medientage und die InternetWorld den Sturz der Messe in diesem Jahr etwas abgemildert haben.

    Gruß
    Horst Lüning

    • Am 30. Oktober 2003 um 20:30 von Karl Bergmeier

      AW: Ist die Messe noch interessant?
      Hallo,
      Sie sprechen mir aus der Seele!!!
      Ich habe 40 min. gewartet, bis ich mein Ticket in Händen hielt.
      Vielleicht sollte man im Vorfeld der Messe mal ausloten, wer denn eigentlich mit dem Angebot angesprochen werden soll?!
      Ich war 2 Jahre nicht auf der Systems ( ich kenne diese Messe schon viele Jahre ) und muß auch sagen, daß es wahrscheinlich mein letzter Besuch dort war. So wie mir ging es vielen – wie man aus Gesprächen hören konnte.
      Während ich füher mindestens 6 Stunden benötigte, um mein Interesse zu stillen, bedurfte es diesmal gerade 3 Stunden und ich hatte alles Interessante und Uninteressante durch!

  • Am 30. Oktober 2003 um 20:19 von Karl Bergmeier

    Die Systems hat zu sich selbst gefunden
    Diese Aussage kann ich nicht teilen! Die Besucherzahl ist nur deshalb so hoch, weil in Computerzeitschriften kostenlose Eintrittskarten beigepackt wurden.
    Ganze Schulklassen waren u.a. angetreten. Von vielen Besuchern konnte man erfahren, daß der Besuch ein Reinfall gewesen wäre, hätte man den Eintrittspreis zahlen müssen.
    Vielleicht erinnern sich einige Besucher noch an die Zeit der Systems, als sie noch an der Theresienwiese stattfand. Damals war wirklich für jeden Interessierten etwas dabei. Für den kleinen Unternehmer war das Angebot jedoch enttäuschend – das ist meine Meinung.

  • Am 31. Oktober 2003 um 10:36 von Stefan Reusch

    Die Systems ist tot. Es lebe die Systems.
    Nein, "zu sich selbst gefunden" hat die Systems sicherlich nicht. Ganz im Gegenteil, denn im Rahmen der Schadensbegrenzung hat die Messeleitung wohl ein letztes mal alle denkbaren Register gezogen: Kostenlose Eintrittskarten an jeder Ecke, viel "Prominenz", Pressemitteilungen mit mehr als zweifelhaftem Inhalt – selbst die BITcom hat sich blind vor den maroden Karren spannen lassen.

    Doch es half alles nichts. Nahezu jeder Austeller wird bestätigen, dass das Besucherinteresse trotz des erbitterten Kampfes der Messegesellschaft weiter gesunken ist – und zwar drastisch.

    Eine "Trendwende", wie sie in der Pressemitteilung publiziert wird, ist aber dennoch zu verzeichnen – wenn auch anders, als es die Verantwortlichen sich wohl gewünscht hätten.

    Die allgemein schwierige wirtschaftliche Lage in Kombination mit einem fragwürdigen Management haben es vollbracht, die Systems um Jahre zurück zu werfen: Von der Nummer zwei der deutschen IT Veranstaltungen hin zur Regionalmesse für den süddeutschen Raum.

    Doch dies soll nicht heißen, dass sie zwingend an Bedeutung verlieren muss. Denn auch als Regionalveranstaltung kann und wird sie eine tragende Rolle im Marketing-Mix der IT-Unternehmen spielen.

    Wenn, ja wenn die Messeleitung endlich diese Rolle anerkennt und auf völlig überzogene Preise verzichtet.

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