Die Großen müssen der Cloud hinterherrennen

Die etablierten Anbieter von Standardsoftware haben die Cloud verschlafen. Sie dachten zu Recht, dass sich ihre Kernlösungen ohnehin nicht dafür eignen. Dabei haben sie aus Betriebsblindheit aber übersehen, dass es in Unternehmen noch viel anderes zu tun gibt.

Ganz neu ist weder der Begriff Cloud noch die dahinterstehende Idee: Vor über elf Jahren hat der als Netscape-Mitgründer bekannt gewordene Marc Andreessen eine neue Firma namens Loudcloud vorgestellt. Deren Geschäftsmodell war es, die jeweils neuesten Datenbanken, Applikations-Server und Sicherheitstechniken zur Verfügung zu stellen. Mit „Opsware“ hatte das Unternehmen zudem eine Eigenentwicklung zur Überwachung an der Hand.

Aber das Geschäft lief nicht so gut: Im Mai 2011 musste jeder fünfte Mitarbeiter entlassen werden. Wenige Monate später verkaufte Andreessen die damals als Managed Hosting bezeichnete Abteilung seines Unternehmens Loudcloud für 63,5 Millionen Dollar an EDS und gab der Firma den Namen ihres nun noch verbliebenen Produkts: Opsware. Loudcloud-Mitgründer Ben Horowitz wurde neuer CEO. Er urteilte unter Bezugnahme auf das Platzen der Dotcom-Blase: „Unter anderen wirtschaftlichen Voraussetzungen hätte Loudcloud wunderbar funktioniert.“

Logos von SAP und SuccessFactors

Schließlich gab es für das Start-up aber doch noch ein Happy-End: 2007 kaufte HP es für 1,6 Milliarden Dollar. Und da sich HP auch EDS einverleibt hat, ist seit einiger Zeit die ganze Firma wieder glücklich unter einem Dach vereint – zumindest theoretisch.

Inzwischen sprechen alle laut von der Cloud

So viel zu einer der ersten, wenn nicht gar der ersten IT-Firma mit Cloud im Namen und im Geschäftsmodell. Inzwischen haben sich die wirtschaftlichen und auch die technischen Voraussetzungen geändert. Und inzwischen sprechen nicht mehr nur Internetpioniere sondern alle laut von der Cloud.

HP hat dieses Recht ja quasi für die etwas mehr als 1,6 Milliarden Dollar, die der Konzern für die Einzelteile von Loudcloud bezahlt hat, mit erworben. IBM ist auch schon dabei, Fujitsu ab nächstem Frühjahr.

Magerer sah es bislang bei den Softwareanbietern aus. Die starrten wie die Schlange auf das Kaninchen auf Salesforce.com. Und während Marc Benioff mit seiner Firma eine Dot-com-Domain nach der anderen besetzte, jammerten die großen Standardsoftwareanbieter, dass das alles nicht so einfach sei. Und Recht hatten sie: Ihre bisherigen, komplexen, weitgehend individualisierten Codemonster sind nicht nur schwierig, sondern überhaupt nicht in die Cloud übertragbar. Und der Versuche wär weder aus technischer noch aus wirtschaftlicher Sicht sinnvoll.

Dabei haben sie aber übersehen, dass es in Firmen noch viele Bereiche gibt, die sich mit den großen Softwaresuiten nicht oder nur unter unverhältnismäßigem Aufwand abdecken lassen und die sich sehr gut dafür eignen, aus der Cloud angeboten zu werden. Dazu zählen neben CRM offenbar auch das Billing von Kleinbeträgen, Abonnements und Subskriptionen, die Steuerung einer Aussendienstmannschaft, das IT-Service-Management oder die Bewertung, Zielvereinbarung und Einstufung der eigenen Mitarbeiter. Die Erfolge von Firmen wie Zuora, Right Now, Service Now und Success Factors sind Beweis dafür.

Die neue Generation der Helfer-Software in Firmen

Interessant ist, dass diese Noboys Erfolge in Bereichen feiern, die die Softwareriesen vor einiger Zeit noch nicht einmal mit Handschuhen angefasst hätten. Sie konzentrierten sich auf End-to-End-Lösungen für komplexe Lieferketten, Produktionsplanung und komplexe Warenwirtschaft – umso komplizierter umso lieber. Sie verkauften viel Beratung und Anpassung, viel Prozess-Know-how und viel theoretischen Überbau. Allein die Erklärung der Vorteile einer neuen Version oder eines neuen Releases konnte schon einmal ein paar Nachmittage dauern – ausrechnen ließen sie sich dagegen nicht mal in Wochen.

Die neue Generation der Helfer-Software in Firmen braucht dagegen eigentlich gar keine Erklärung und auch nur wenig Anpassung. Nicht mal die Kostenvorteile ausrechnen muss jemand – liegen sie doch für alle offensichtlich auf der Hand: Sie erleichtern das Leben im Büro und unterwegs, machen Abläufe schneller, effizienter, nachvollziehbarer und dokumentieren sie besser. Das sieht jeder der Nutzer und der Beteiligten auf den ersten Blick. Und durch das Cloud-Modell fallen nicht mal Anfangsinvestitionen an – warum also noch zögern, wenn nicht eine gut funktionierende und etablierte selbstgestrickte Lösung im eignen Haus zur Verfügung steht?

Den Trend haben die Softwareschwergewichte verpasst. SAP arbeitet immerhin bereits seit einiger Zeit mit Projekten wie Streamwork und ähnlichen an vergleichbaren Angeboten. Dazu zählt die für den Einsatz im Vertrieb entwickelte Lösung Sales On Demand, die jetzt allgemein verfügbar ist, sowie das für die kommenden Monate angekündigte Travel On Demand, das bei der Planung von Geschäftsreisen hilft

Oracle hatte diesbezüglich bisher gar nichts vorzuweisen. Logisch dass die Amerikaner dann im Oktober zuerst die Brieftasche zückten. Sie legten für Right Now 1,6 Milliarden Dollar auf den Tisch. Möglicherweise dachte SAP zunächst noch, man könne aus eigener Kraft nachziehen. Auf jeden Fall will man nun nicht mehr hinter Oracle zurückstehen: 3,4 Milliarden Dollar ist den Walldorfern der Kauf von Success Factors jetzt Wert. Für beide ein hohes Lehrgeld auf dem Weg in die Cloud.

Dennoch werden für beide Firmen diese Übernahmen nicht die letzten gewesen sein. Nachdem von den großen Accounts fast alle auf ins eine oder andere Lager gehören und Wechsel wegen des damit verbundenen Aufwands äußerst selten sind, müssen neue Schlachtfelder gesucht werden. Cloud ist nicht nur ein junges Marktsegment, in dem die Claims noch nicht abgesteckt sind, sondern auch ein Bereich, mit dem sich der von beiden so sehnlich als Kunde gewünschte Mittelstand gut ansprechen lässt.

Es ist daher in den nächsten sechs Monaten noch einiges zu erwarten. Wenn zwei Haie in einen Sardinenschwarm einfallen bekommt der am meisten, der am schnellsten zuschnappt.

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