Netzneutralität: EU-Parlament lässt Überholspuren zu

Auch Zero-Rating wird nicht verboten - die Definition von einer Volumenbegrenzung ausgenommener Dienste. Kritiker fürchten, dass ISPs somit über Erfolg und Misserfolg von Internetfirmen entscheiden. Das Parlament billigte auch das Aus für Roaminggebühren Mitte 2017.

Das Europaparlament in Straßburg hat neue Regeln für ein offenes Internet verabschiedet, aber eine Reihe vorgeschlagener Modifikationen abgelehnt, die das Prinzip der Netzneutralität verankern sollten. So genannte „Überholspuren“ für „spezialisierte Dienste“ sind somit zulässig. Auch „Zero-Rating“ – eine Klassifizierung von Apps oder Diensten, die nicht auf eine Volumenbegrenzung angerechnet werden – wird nicht grundsätzlich verboten.

Die Regelung räumt jedem Europäer das Recht auf Zugang zum offenen Internet ein. Blockaden und Drosselungen sind – mit Ausnahmen – untersagt. Telekommunikationsdienstleister dürfen also keine Online-Konkurrenten wie Skype oder Facetime sperren. Diese Beispiele stammen von der EU selbst.

Zudem muss aller Traffic gleich behandelt werden. Priorisierung gegen Bezahlung ist verboten. Zu den Ausnahmen zählen „vernünftiges, alltägliches Traffic-Management“. Aber auch „spezialisierte Dienste“, die „zusätzlich zum offenen Internet“ angeboten werden, dürfen Priorität haben. Dies dürfte beispielsweise für die viel kritisierte IPTV-Plattform Entertain der Deutschen Telekom gelten.

EU-Parlament in Straßburg (Bild: EU-Parlament)Mit der Entscheidung treten erstmals europaweit gültige Regeln zur Netzneutralität in Kraft – ironischerweise in einer Form, die dieses Prinzip durch Ausnahmen unterhöhlt. Unter Netzneutralität ist die strikte Gleichbehandlung sämtlicher Internetdaten zu verstehen.

Die Parlamentarier votierten somit auch gegen die Stimmen von WWW-Erfinder Tim Berners-Lee sowie einer Gruppe von Internetfirmen rund um BitTorrent, Netflix, Reddit und Tumblr. Sie alle hatten sich in den letzten Tagen zugunsten der strengeren Ergänzungen ausgesprochen – auch mit Verweis auf die USA, wo die im Februar von der zuständigen Behörde FCC eingeführte Neuregelung, die jegliche Priorisierung von Datenverkehr untersagt, sich schon positiv auf den Wettbewerb ausgewirkt habe.

Berners-Lee sprach sich etwa für ein grundsätzliches Verbot von Traffic-Klassen aus, mit denen ISPs regulieren, welche Anwendungen sie priorisieren und welche drosseln. Dies wirke sich besonders ungünstig auf Verschlüsselung aus, sagte der Web-Erfinder: Verschlüsselter Traffic werde oft vollständig in eine Klasse gepackt und diese dann gedrosselt. Und über Zero-Rating sagte er, es gebe ISPs die Macht, den Erfolg und Misserfolg von Online-Anbietern zu beeinflussen.

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Zugleich entschied das EU-Parlament für die Abschaffung von Roaminggebühren in der EU bis Mitte 2017. Er schloss sich damit der Entscheidung des EU-Ministerrats vom Juni 2015 an. Die Regelung sieht vor, dass Verbraucher für Anrufe, SMS und Datennutzung überall in der EU ab Mitte 2017 einen einheitlichen Preis zahlen.

Der jetzt verabschiedete Kompromiss beinhaltet auch einen Schutz für Mobilfunkanbieter vor Missbrauch des Roaming in Form einer Fair-Use-Richtlinie. Sie soll beispielsweise verhindern, dass Kunden in einem anderen EU-Land einen Mobilfunkvertrag zu günstigeren Bedingungen abschließen.

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2 Kommentare zu Netzneutralität: EU-Parlament lässt Überholspuren zu

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  • Am 27. Oktober 2015 um 15:21 von Frank Furter

    ZITAT
    Mit der Entscheidung treten erstmals europaweit gültige Regeln zur Netzneutralität in Kraft – ironischerweise in einer Form, die dieses Prinzip durch Ausnahmen unterhöhlt.
    TATIZ
    Nicht ironischerweise, sondern logischer Weise. Wann gab es denn in den letzten Jahren irgendeine Entscheidung, eine Verordnung oder ein Gesetz, das ganz klar und eindeutig einen Sachverhalt regelt? Durch die Ausnahmen werden Hintertüren geöffnet, die irgendwann zu Scheunentoren werden. Wie immer ein Paket, in dem nicht das drin ist, was außen draufsteht.

    Die Lobbyisten haben in den letzten Monaten intensivst gearbeitet – offensichtlich erfolgreich. :(

  • Am 27. Oktober 2015 um 23:28 von PeerH

    So offenbart sich erfolgreiche Lobbyarbeit. Die Industrie setzt ihre Interessen gegen den Widerstand weiter Teile der Bevölkerung durch. Und hat erfolgreich erste Eckpfeiler in den Damm gesetzt, entlang derer sie sich dann in Zukunft so lange bewegen können, bis sie den Damm zum brechen bringen.

    Es stinkt, und zwar gewaltig. Und solche Leuchten wie Öttinger sind nicht einmal Trojaner der Industrie, sie sind ganz direkte Interessenvertreter. Der wurde nur für solche Zwecke an dieser Position installiert.

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