Frankreich kann jetzt Websites ohne Gerichtsbeschluss sperren

Der Sperrerlass gegen Terror und Kinderpornos ist heute in Kraft getreten. Eine Polizeieinheit legt die Zensurliste fest. Die Datenschutzbehörde CNIL übernimmt die Aufsicht. Präsident Hollande hatte schon letzte Woche angekündigt, Facebook und Google als "Komplizen" der Terroristen zur Verantwortung ziehen zu wollen.

In Frankreich ist heute ein Gesetzeserlass in Kraft getreten, der es der Regierung ermöglicht, Websites ohne Gerichtsbeschluss sperren zu lassen, wenn sie Terrorismus propagieren oder Kinderpornografie verbreiten. Das melden französischen Medien wie Rue89.

Das „Décret relatif au blocage des sites“ war letzte Woche veröffentlicht worden, geht aber auf Entwürfe eines Kinderporno-Zensurgesetzes von 2011 und ein Antiterrogesetz von 2014 zurück. Nach den Terroranschlägen auf die Redaktion des Satireblatts Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt griff die Regierung von Präsident François Hollande erneut darauf zurück. Der Präsident selbst argumentierte schon vergangene Woche, Facebook und Google machten sich zu „Komplizen“ von Terroristen, wenn sie deren Inhalte publizierten. Sie müssten durch das Gesetz zur Verantwortung gezogen werden.

Die Neuregelung sieht vor, dass Internet Service Provider beanstandete Seiten innerhalb von 24 Stunden vom Netz nehmen müssen. Welche Sites das sind, soll eine Polizeieinheit definieren. Bei terroristischen Angeboten erfolge eine zusätzliche Prüfung durch Terrorabwehr-Spezialisten. Die Aufsicht hat die Datenschutzbehörde Commission Nationale de L’Informatique et des Libertés (CNIL). Für den Bürger soll die Sperre transparent sein, da statt der angeforderten Inhalte eine Information über den Grund der Sperre erscheint.

Durch die Blockade terroristischer Angebote etwa in Sozialen Netzen soll verhindert werden, dass Terrorgruppen wie ISIS dort unter orientierungslosen Jugendlichen Mitglieder werben können. Laut dem französischen Innenminister Bernard Cazeneuve haben 90 Prozent derer, die sich für terroristische Aktivitäten in der Europäischen Union entscheiden, vorher das Internet aufgesucht. (Ähnliche Zahlen dürften freilich für Kinobesucher und Smartphonekäufer gelten.) Ihm zufolge haben etwa 1300 französische Staatsbürger Verbindungen zu Rekrutierungszellen für den Krieg in Syrien und im Irak.

Kinderschutz ist das am häufigsten gebrauchte Argument zugunsten von Internet-Filtertechniken – so auch in Deutschland, wo die ehemalige Familienministerin Ursula von der Leyen aber mit ihrem Vorstoß scheiterte. Kritiker bezeichnen solche Filter als ineffizient – lediglich die Anfangshürde für den Zugriff auf verbotenes Material steige. Und Bürgerrechtler geben zu bedenken, dass so eine Überwachungs- und Zensur-Infrastruktur entsteht, die infolge ihrer technischen Möglichkeiten Meinungs- und Pressefreiheit bedroht.

Felix Tréguer von der französischen Datenschutzorganisation La Quadrature du Net sieht etwa das Risiko, dass Übertreibung für eine Blockade „völlig legaler Inhalte“ sorgt. Er weist auch darauf hin, dass sich eine solche Sperre auf der Ebene des Domain Name System (DNS) leicht umgehen lässt. „Die Maßnahme vermittelt nur den Eindruck, dass der Staat im Interesse unserer Sicherheit agiert, während er gleichzeitig unsere grundlegenden Online-Rechte weiter untergräbt.“

Themenseiten: Facebook, Google, Internet, Kommunikation, Politik, Zensur

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