Was Unternehmer von Open Source lernen können

In den vergangenen Jahren hat sich eine Revolution der Ökonomie vollzogen: Wikinomics, Collaboration, Crowdsourcing, Open Source, Open Innovation und Open Space wurden wesentliche Bausteine innovativen Unternehmertums. Stefan Probst erklärt im Gastbeitrag für ZDNet, welche Chancen das Firmengründern bietet.

Die Prinzipien einer klassischen Unternehmensgründung werden seit Beginn des Internetzeitalters immer stärker in Frage gestellt. Auch wenn die New Economy im Jahr 2000 ihren ersten Höhenflug beendet hatte, legte sie dennoch den Grundstein für viele unserer heutigen Technologien. Spätestens mit dem modernen, kollaborativen Web und vielfältigen fertigen Businessbausteinen sind statt klassischer Erfindungen oder ausgefeilter Businesspläne meist nur noch ein Internetzugang, eine innovative Idee, die mit gängigen Konventionen bricht, sowie eine Handvoll Mitstreiter notwendig, um eine Vision ins Rollen zu bringen. Die Umsetzung findet im nächsten Coworking Space oder durch das Internet verbunden weltweit statt.

Noch lange bevor die neuen Entrepreneure über Rechtsformen, Organisationsstrukturen oder Fremdkapital nachdenken, wird als erster Schritt – zumeist auf Basis von freier Open-Source-Software und kosteneffizienten, hoch skalierbaren Cloud-Services – eine Bindung zu den künftigen Zielgruppen aufgebaut. Statt aufwändig Produktideen, Märkte oder Gelegenheiten vorab theoretisch zu durchdenken, wachsen die neuen Unternehmen vom ersten Tag an getrieben von konkretem Bedarf und echter Nachfrage sowie in enger Abstimmung mit ihren Kunden und Partnern. Das gezielte Aufbauen von Ökosystemen durch offene Schnittstellen schafft eine unterstützende Basis durch das wirtschaftliche Interesse von Dritten.

Logo der Gründerwoche 2011

Märkte und Produkte entstehen dabei oft getrieben durch das Interesse an einem Thema und der damit verbundenen Mitarbeit einer unterstützenden Community, dem direktem Feedback aus dieser Gemeinschaft, offen geführten Diskussionen und der Möglichkeit zur aktiven Einflussnahme jedes Einzelnen innerhalb des Projekts. Wie das funktionieren kann, zeigt zum Beispiel das von der Open Source Business Foundation mitgetragene Start-up-Weekend vom 18. bis 20. November in Nürnberg.

Innovative Ideen müssen dabei weder kompliziert noch hochtrabend sein. Gerade die bestechend einfachen Ideen, die sich in wenigen Augenblicken als „Elevator Pitch“ klar und präzise auf den Punkt bringen lassen, führen mit höherer Wahrscheinlichkeit zu einem nachhaltigem Erfolg. Die Geschäftsidee darf und soll dabei bewusst mit traditionellen Konventionen und Marktstrukturen brechen. Sie wird während ihrer Reifephase ständig hinterfragt und verfeinert. Je gründlicher ein Entrepreneur seine Vision durchdenkt und je früher er mit seiner Idee gleichzeitig auch an die Öffentlichkeit geht, also aktiv eine Community darum herum aufbaut und in die Entwicklung der Idee einbezieht, umso grösser werden seine Erfolgsaussichten sein.

Bootstrapping für natürliches und selbstkontrolliertes Wachstum

Stefan Probst, der Autor dieses Gastbeitrags für ZDNet, ist Vorstandsmitglied und COO der Open Source Business Foundation sowie Inhaber des Beratungsunternehmens Entresol (Bild: Privat).
Stefan Probst, der Autor dieses Gastbeitrags für ZDNet, ist Vorstandsmitglied und COO der Open Source Business Foundation sowie Inhaber des Beratungsunternehmens Entresol (Bild: Privat).

Der natürliche Wachstumspfad zu einem neuen Unternehmen – oft als „Bootstrapping“ bezeichnet – birgt wesentliche Vorteile: Statt Kapital sind vielmehr Kopf, Querdenken und Gemeinsinn entscheidend. Fertige Module, wie elektronische Büros, Webshops, Customer-Relationship-Management und Logistikanbieter sowie Beschaffungsmärkte, die Güter in hoher und zuverlässiger Qualität in beinahe jeder gewünschten Form liefern können, lassen den Entrepreneur von Anfang an viele Geschäftsprozesse mit hoher Professionalität ausgliedern beziehungsweise delegieren statt sie wie früher mühselig selbst zu erarbeiten.

Die gewonnene Zeit kann in die Ausarbeitung der Geschäftsidee und der stetigen Beobachtung der sich verändernden Kundenbedürfnisse und Märkte investiert werden. Die klassische „Business Administration“ rückt in den Hintergrund zugunsten eines agilen Entwicklungsprozesses.

Erste Umsätze werden so früh wie möglich erzielt, oft für Produkte oder Dienstleistungen von denen zu diesem Zeitpunkt nur die Vision existiert. Crowdfunding hilft, erste Prototypen entstehen zu lassen.
Kosten lassen sich dagegen oft als variable Kosten anteilig zu den Umsätzen strukturieren. Die daraus resultierenden niedrigen Fixkosten haben einen spürbar geringeren Kapitalbedarf sowie ein insgesamt deutlich verringertes Gesamtrisiko zur Folge.

Damit steht dieser Weg auch denen offen, die kein umfangreiches Kapital, dafür aber eine überzeugende Vision einbringen, das Verständnis für den Aufbau von Communities sowie Offenheit und Wertschätzung gegenüber allen, die sich an ihrem Ökosystem beteiligen.

Die Prinzipien von Open-Source-Unternehmertum

Mit dem ungewöhnlichen Weg gehen auch ungewohnte Prinzipien einher. Der entscheidende Erfolgsfaktor für Linux kann als Wegweiser dienen. Linus Torvalds hatte sein Projekt 1992 – ein neues, offenes Betriebssystem zu entwickeln – bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt im Internet veröffentlicht. Zusammen mit einer Nachricht über seine Vision für dieses Projekt, hatte er nur wenige Zeilen Source Code freigegeben und die Diskussion darüber gestartet.

Release early, release often

In der Folge gab es fast täglich neue Releases und innerhalb weniger Monate war die Idee bei vielen Universitäten bekannt. Das System erlangte durch die Mithilfe vieler Entwickler, die das Potenzial darin erkannten, schnell eine kritische Größe, verbunden mit einer von Anbeginn erstaunlich hohen Stabilität. Heute ist Linux aus unserer Welt nicht mehr wegzudenken und findet sich in einem Großteil aller Consumer-Geräte, in Serversystemen oder als Plattform für mobile Geräte wieder.

Ohne das sehr frühe Öffnen seines Projekts und die häufigen Releases wären der schnelle Erfolg und die große Verbreitung nicht möglich gewesen. Dadurch konnten die Änderungen der Community innerhalb kürzester Zeit integriert und sofort von allen verwendet werden. Es gab vergleichbare Projekte, die versucht hatten, zuerst einen weitgehend vollständigen Funktionsumfang aus eigener Kraft zu erreichen. Sie konnten dieses Stadium aus eigener Kraft letztlich nie verlassen. Die Strategie der Offenheit und des sehr früh möglichen Zugriffs verhalf Linux – und Open Source generell – ganz wesentlich dazu, sich gegenüber anderen Systemen durchzusetzen.

KISS – keep it simple, stupid

Jeder gute Entwickler wird bestätigen können, dass es deutlich einfacher ist, komplizierten, wenig verständlichen Code zu schreiben, als bestechend einfachen, klar strukturierten Code, in den sich bei Bedarf auch Außenstehende schnell einarbeiten können. Komplizierter Code macht es nicht nur Dritten schwerer, den Zugang dazu zu finden, auch die Pflege und Weiterentwicklung wird deutlich erschwert.

Überträgt man dieses Prinzip aus der Softwareentwicklung auf den Bereich der Geschäftsideen, dann lässt sich daraus folgern, dass oft nicht die komplexen technologischen Erfindungen zum Erfolg führen, sondern die bestechend einfachen aber konsequent durchdachten Ideen, die mit den gängigen Konventionen brechen und neue Wege beschreiten.

Blickt man zurück auf die Zeit vor der New-Economy-Blase im Jahr 2000, stellt man fest, dass es in diesen Jahren weder an reichlichem Risikokapital noch an guten Köpfen gemangelt hat. Trotzdem hatten nur die wenigsten Technologiegründungen Erfolg, da ihre Geschäftsideen schlicht zu komplex waren. Je klarer, einfacher und durchdachter eine Idee ist, desto mehr Potenzial hat sie, von vielen verstanden und unterstützt zu werden und damit letztlich nachhaltig erfolgreich zu sein. Ein herausragendes Beispiel aus jüngerer Zeit dafür ist Dropbox.

Nurture your Community

Eine aktive Open-Source-Community entsteht nie durch Zufall, sondern ist durch stetiges und konsequentes Community-Management geprägt. Dabei ist es wesentlich, sich auf die typischen Werkzeuge und Kommunikationswege einzulassen. Webportale, Blogs, Wikis, Code Repositories, soziale Netzwerke, Bewertungssysteme, IRC, Chat, Skype oder Twitter bieten vielfältige Möglichkeiten, um die technologieaffine Zielgruppe passend zu erreichen. Softwareprojekte werden besser auf einem der bekannten großen Portale wie Github oder einem Software-Forge angelegt, als auf einem unbekannten eigenen Server. Die Möglichkeiten des partizipativen Webs sollten gezielt genutzt, um alle Besucher vom ersten Klick an konsequent zu betreuen und einzubinden.

Vielfältige, offene Kommunikation über die Idee, ihre Entstehung und ihren Werdegang hilft, um an anderen Stellen oder von einflußreichen Blogs erwähnt oder um über qualitative Inhalte von Suchmaschinen auffindbar zu werden. So sorgen zum Beispiel Blogs und Twitter als Medium in Verbindung mit relevanten Inhalten für besonders hoch bewertete Suchergebnisse.

The Wisdom of Crowds

Entgegen der klassischen Ansicht, dass Unternehmen vor allem durch einzelne starke, charismatische Figuren geführt werden sollten, lehren uns zahlreiche Beispiele aus unserer vernetzten Welt, dass die Weisheit der Vielen oftmals unerwartet neue, innovative Ansätze hervorbringt. Das geschieht dabei mit einer Diversität und Kreativität, wie sie Einzelne alleine nicht erreichen.

Jeder Mensch birgt ein hohes Potenzial an Innovation und Motivation, wenn man ihm nur Wege bietet, es einbringen zu können. Open Innovation belegt, dass Organisationen, die sowohl die Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter als auch das der Communities außerhalb des Unternehmens zu nutzen verstehen, sich einen enormen Wettbewerbsvorteil verschaffen.

Der Komplexität unserer modernen Welt lässt sich schon lange nicht mehr mit Hilfe von Try & Error, Ausblenden, rationalem Durchdringen oder durch Trivialisierung ausreichend begegnen. Einzig ein hoher Vernetzungsgrad mit einer möglichst vielfältigen Diversität der Beteiligten erlaubt es, eine ausreichende Grundlage für emotionale Entscheidungen zu bilden. Dies kann eine breite Community durch Mass Collaboration leisten, wenn sie entsprechend direkt und ungefiltert in das Unternehmen eingebunden wird und vielfältige Möglichkeiten zur Einflussnahme hat.

Herausragende Beispiele für Unternehmen, die sich diese Prinzipien schon früh zu eigen gemacht haben und Open-Source-Prinzipien seit ihrer Gründung als Unternehmenskultur leben, sind 37signals (Ruby on Rails, Basecamp, Highrise, Backpack & Campfire) oder Atlassian (JIRA & Confluence). Andere Unternehmen wie OXID eSales (OXID eShop) haben nach einem Start als proprietärer Anbieter erfolgreich den Schritt zu Open Source gemacht und konnten damit Sichtbarkeit, Reichweite und Umsatz deutlich steigern.

Fazit

Albert Einstein beschreibt in einem Zitat die Qualität einer Idee: „Eine wirklich gute Idee erkennt man daran, dass ihre Verwirklichung von vorne herein ausgeschlossen erscheint“ – ist die Idee dann auch noch ausgereift, klar und einfach, so steht einer erfolgreichen Umsetzung innerhalb unserer neuen Ökonomie nichts mehr im Weg.

AUTOR

Stefan Probst ...

… ist Vorstandsmitglied und COO der Open Source Business Foundation. Als Inhaber des Beratungsunternehmens Entresol unterstützt der Diplominformatiker und MBA zudem Unternehmen dabei, Open Source und deren Businessmodelle zu verstehen und anzuwenden.

Themenseiten: Gastbeiträge, IT-Business, IT-Jobs, Open Source

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