Das Ende des Märchens vom armen, aber tapferen Pinguin

Das Klischee vom enthusiastischen Programmierer im stillen Kämmerlein hat ausgedient: Eine Studie der Linux Foundation zeigt jetzt, wer wirklich hinter dem Linux-Kernel steckt. Das Ergebnis dürfte Idealisten und Gegner gleichermaßen überraschen.

Auch wenn das Klischee schon längst überholt ist, existiert es trotzdem immer noch: Linux und Open Source wird von engagierten, aber planlosen Anhängern einer nicht näher definierten Subkultur programmiert, die mit einer Kassenbrille auf der Nase in den Einliegerwohnungen ihrer Eltern zwischen Pizzaschachteln und Colaflaschen hausen. Alternativ haben sie sich unter vergleichbaren Bedingungen in baufälligen Studentenwohnheimen zusammengerottet.

Unabhängig davon, ob diese Vorstellung überhaupt jemals wahr gewesen ist, hat sie sich doch offenbar in den Köpfen vieler Leute so festgesetzt, dass sich die Linux Foundation genötigt sah, eine Studie (PDF) anfertigen zu lassen, die das Gegenteil beweist. Deren Ergebnis in Kurzform: Tatsächlich sind es die großen IT-Firmen, die Linux heute vorantreiben.

Das ändert sicher nichts daran, dass es politische Ansichten und Einstellungen gibt, denen die Ideen und Strukturen von Linux und freier, offener Software (FOSS) sympathischer sind als anderen. Aber obwohl die von diesem Geist mitgeprägte GNU General Public License (GPL) auch heute noch das Lebenselexier für Linux sowie die meisten anderen quelloffenen Programme ist und die tägliche Arbeit mit ihnen bestimmt, haben den daraus entstehenden Nutzen auch andere erkannt: die Großkonzerne dieser Welt – obwohl ihnen solche Ideen sonst eher fremd sind.

Ein paar Zahlen dazu: Laut dem Bericht der Linux Foundation wird über 70 Prozent der Arbeit am Linux-Kernel von Entwicklern getan, die dafür bezahlt werden. Zwar steuern 18,9 Prozent der Entwicklung auch sogenannte „Amateure“ bei, aber der Bericht gibt leider keinen Aufschluss darüber, wer diese „Amateure“ genau sind. Denn eines ist klar: Jemand, dessen Arbeit in den Linux-Kernel aufgenommen wird, muss sie recht gut gemacht haben.

Obwohl es tausende von Linux-Entwicklern gibt, erledigen den Großteil der Arbeit einige wenige. Für jeden beliebigen Entwicklungszyklus gilt laut der Studie die Faustregel, dass ein Drittel der Entwickler nicht mehr als einen Patch beiträgt. In den vergangenen fünfeinhalb Jahren haben dagegen die zehn engagiertesten jeweils rund zehn Prozent aller Änderungen und die dreißig fleißigsten Entwickler 22 Prozent der gesamten Arbeit getan. Die meisten der sehr produktiven Köpfe sind bei bekannten Firmen angestellt. Die folgende Tabelle zeigt die genaue Verteilung.

Die produktivsten Linux-Entwickler

Firma/Organisation Anteil der
angenommenen Änderungen
Red Hat 12,4
Novell 7,0
IBM 6,9
Unbekannte Herkunft 6,4
Intel 5,8
Berater 2,6
Oracle 2,3
Renesas Technology 1,4
The Linux Foundation 1,3
Akademiker 1,3

Das am wenigsten bekannte Unternehmen in dieser Liste dürfte Renesas sein. Es ist weltweit einer der größten Produzenten von Mikrocontroller und Halbleitern. Die anderen sind allgmein bekannt.

Ein großes Fragezeichen steht seit dem Kauf durch Attachmate vor einigen Tagen hinter Novell, da im Rahmen der Transaktion auch mehrere hundert Patente an ein von Microsoft kontrolliertes Firmenkonsortium gehen. Die Frage, welche Rolle Novell in der Linux-Community in Zukunft spielen wird, ist daher durchaus angebracht, lässt sich aber im Augenblick noch nicht beantworten.

Graue Eminenzen

Ein weiteres interessantes Ergebnis der Studie ist, dass auch Linux-Entwickler in die Jahre kommen. Linus Torvalds taucht zum Beispiel in der Liste der 30 produktivsten Entwickler nicht mehr auf. Der Bericht nennt auch die Gründe dafür: „Linus bleibt ein aktiver und bedeutender Teil des Entwicklungsprozesses, sein Beitrag kann nicht einfach an Hand der Zahl der von ihm eingereichten Änderungen gemessen werden. Wir stellen auch bei anderen Kernel-Entwicklern eine ähnliche Entwicklung fest: In dem Maße, wie sie mehr Zeit dafür aufwenden, Patches von anderen zu prüfen und Verwaltungsaufgaben übernehmen, schreiben sie weniger eigene Patches.“

Unterm Strich ergibt das eine allmählich ergrauende Gruppe von Entwicklern, von denen der größte Teil im Dienste von weltweit agierenden Firmen an einem gigantischen Softwareprojekt arbeitet. Sieht man es so, klingt es gar nicht mehr so verschwörerisch, aufrührerisch und weltverbesserisch, wie es in manchen Gesprächen über Linux vermittelt wird. Positiv könnte man es auch so sagen: Linux und seine Entwicklung sind im Mainstream angekommen. Beides unterscheidet sich kaum noch proprietären Softwareprojekten – zum Beispiel bei Microsoft oder SAP.

Was bei Linux wirklich zählt

Durch die andere Entwicklungsweise werden Fehler in Open-Source-Software in der Regel schneller gefunden und behoben. Neue Ideen können schneller aufgegriffen und ausprobiert werden. Was an Linux und Open-Source-Software wichtig ist, sind letztendlich nicht die politischen Geplänkel und Scharmützel der jüngeren Vergangenheit oder die Frage, wie sich Otto-Normalanwender den durchschnittlichen Linux-Entwickler vorstellt.

Wichtig ist, dass die zugrundeliegende Arbeitsweise und -methode zu besserer Software führt. Genau deshalb investieren die großen Firmen auch so viel in die Linux-Entwicklung. Linux funktioniert. Wenn es das nicht täte, würden sich die beteiligten Konzerne nicht damit herumschlagen.

Michael Kienle, Geschäftsführer der IT-Novum GmbH und Vorstand der Open Source Business Foundation, erklärt im Interview mit ZDNet, wie er sich den Weg zum 100-Prozent-Open-Source-Unternehmen vorstellt und warum er sich seiner Ansicht nach lohnt.

Themenseiten: Analysen & Kommentare, IBM, IT-Business, Linux, Novell, Open Source, Oracle, Red Hat

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1 Kommentar zu Das Ende des Märchens vom armen, aber tapferen Pinguin

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  • Am 14. Dezember 2010 um 13:21 von Sabine Hauser

    Weltverbesserung unerwünscht…
    „Positiv könnte man es auch so sagen: Linux und seine Entwicklung sind im Mainstream angekommen.“

    So so. Und was ist an diesem „Mainstream“ positiv? (AmScheitelKratz)

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