Tauss: Viele Parlamentarier sehen im Internet möglicherweise eine Bedrohung

Der ehemalige SPD-Abgeordnete gibt Interna aus der Fraktion preis. Er spricht über die Gründe, die zur Entscheidung für das Internetzensurgesetz geführt haben. Sie reichten von Desinteresse bis hin zur Angst vor der Bild-Zeitung.

Der am Sonntag von der SPD zur Piratenpartei übergetretene Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss hat sich gestern auf Abgeordnetenwatch.de zu den Beweggründen seiner ehemaligen Fraktionskollegen geäußert, für das umstrittene Internetzensurgesetz zu stimmen. Gegen Tauss ist ein Ermittlungsverfahren wegen des Besitzes von Kinderpornografie anhängig. Er selbst behauptet, in seiner Eigenschaft als medienpolitischer Sprecher der SPD gegen die Szene ermittelt zu haben.

Auf die Frage eines Bürgers, ob die Zustimmung zum Internetzensurgesetz im Interesse der SPD sei, antwortete Tauss, dass ein großer Teil der Parlamentarier nicht mit dem Internet aufgewachsen sei. Die Abgeordneten empfänden das Netz daher möglicherweise sogar als Bedrohung. Sie nähmen es nicht als technisches Netz oder als Kommunikationsinfrastruktur wahr und verstünden nichts von Netzneutralität. Stattdessen sähen sie das Internet nicht nur als etwas, wo man Böses bekommen könne, sondern wo es auch herkomme und die Gesellschaft durchdringe.

Das Netz spiegele nach dem Verständnis der Abgeordneten nicht die Probleme wider, sondern verursache sie in ihren Augen. Das seien vor allem „Islamismus, Pornos, Hacker, Bombenbauanleitungen, Terroristen, Rechtsradikale und dann auch noch amoklaufende Jugendliche“. Deshalb seien viele Parlamentarier der Meinung, dass diese Dinge in Deutschland bekämpft werden müssten. Der CSU-Abgeordnete Hans-Peter Uhl habe gar gesagt, man könne bei der Überwachung von China lernen.

Ein weiterer Teil der Abgeordneten, wie die „durchaus netten Kolleginnen“ Caren Marks und Christel Humme, seien „wirklich und ernsthaft“ der Auffassung, mit dem Gesetz etwas gegen Kinderpornografie bewirken zu können, da es so seit 15 Jahren in der Emma stehe. Fakten zählten da nicht mehr.

Ein dritter Teil, dem auch Fraktionschef Peter Struck und Parteichef Franz Müntefering angehörten, habe sich vor einem negativen Medienecho gefürchtet. Struck habe seine Fraktion darum gebeten, zu überlegen, was die Zeitungen wohl bei einer Ablehnung sagen würden.

Diese „Mischung aus Borniertheit, Uninformiertheit, technischem Desinteresse, der guten Absicht, wenigstens etwas zu tun, und Angst vor der Bild-Zeitung“ habe dazu geführt, dass man weder die Expertenmeinungen noch die Meinungen von 134.000 Petentinnen und Petenten zur Kenntnis genommen habe.

Blogberichte hatten bereits vor der Abstimmung gemutmaßt, dass beim SPD-Parteitag Angst vor der Bild-Zeitung zu spüren gewesen sei, da die CDU-Verhandlungsführerin Martina Krogmann mit Alfred Draxler, dem stellvertretenden Chefredakteur der Bild-Zeitung, verheiratet sei. Ähnlich äußerte sich auch Alvar Freude vom Arbeitskreis Zensur in einem ORF-Interview.

Themenseiten: Internet, Privacy, Telekommunikation, Zensur

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