Wikipedia: Vom Onlinelexikon zur Propagandamaschine

Wikipedia sollte das Onlinelexikon für jedermann werden. Inzwischen ist es aber nur noch eine anschauliche Warnung dafür, wie aus qualifiziertem und sachkundigem Social Networking billige Propaganda wird.

Wikipedias Grundvoraussetzung ist die Einladung an jedermann, Einträge kritisch zu untersuchen und zu korrigieren – mit dem Ziel, auf diese Art und Weise die bestmögliche Gewähr für Ehrlichkeit und Vollständigkeit zu erlangen. Das ist eine sehr schöne und demokratische Idee. Außerdem gibt es ein gutes Gefühl, wenn nicht nur ein oder zwei Redakteure einen Text auf Korrektheit überprüfen, sondern mehrere Millionen Nutzer. So weit die Theorie.

Genau wie die Demokratie auch, setzt diese Idealvorstellung eines Nachschlagewerkes aber voraus, dass möglichst alle Teilnehmer nicht nur gut ausgebildet, sondern auch ehrlich genug sind. Einerseits, um eventuell strittige Themen überhaupt korrekt einordnen zu können, andererseits, um belegbare Tatsachen und Schlussfolgerungen statt lediglich Annahmen und Meinungen einzubringen.

Kann das bei Wikipedia funktionieren? Geht man davon aus, dass Wikipedia letztendlich ein Sammelbecken für Nischengruppen ist – jede davon gruppiert um ein Kernthema, das ihr besonders am Herzen liegt –, dann ist das sehr fraglich. Denn damit ist Wikipedia letztendlich nichts anderes als sourceforge.org oder jeder andere Treffpunkt der Open-Source-Community. Vor diesem Hintergrund zeigt Wikipedias offensichtliches Versagen beim Erreichen der ursprünglichen Ziele auch eine grundlegende Problematik des viel gepriesenen Social Networking auf: Dass sich die Qualität unweigerlich auf das niedrigste Niveau absenkt, das für die am meisten engagierten Teilnehmer jeder Nische gerade noch akzeptabel ist.

Was das in der Praxis von Wikipedia bedeutet, lässt sich am besten an zwei konkreten Beispielen aus ganz unterschiedlichen Bereichen zeigen: den Diskussionen um die Themen Klimawandel und Prozessorarchitekturen.

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8 Kommentare zu Wikipedia: Vom Onlinelexikon zur Propagandamaschine

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  • Am 16. Juli 2008 um 18:44 von Bochum-Linden

    Übertriebene Feindseligkeit
    Ich bin selber als Autor in der (deutschen) Wikipedia tätig und habe nicht den Eindruck gewonnen, WP würde massiv beeinflusst. IMHO ist der Artikel destruktiv und versucht, das Vertrauen der Leser in die Wikipedia zu schwächen.

    • Am 16. Juli 2008 um 22:51 von Christoph

      AW: Übertriebene Feindseligkeit
      Ich bin zwar nicht deiner Meinung, dass der Autor hier eine Propaganda gegen Wikipedia betreibt. Jedoch ist sein Einwand schon gerechtfertigt, wobei diese Problematik nicht auf alle Artikel Anwendung finden kann.

      Es wird vergessen, was Wikipedia ansonsten leisten kann: Ein Nachschlagewerk für lau. Das nicht alles zu finden ist, oder gar einiges falsch ist, kann man da gerne in Kauf nehmen. Man sollte immer etwas mit gewisser Skepsis lesen. Wer sagt denn, dass Beiträge in Zeitungen oder Nachschlagewerken nicht auch schöngefärbt sind? Ist alles schon vorgekommen, nur im Web kann man sich auch anders informieren oder gar daran mitwirken.

      • Am 17. Juli 2008 um 8:24 von None

        AW: AW: Übertriebene Feindseligkeit
        Moin,

        Es gibt nichts, was nicht irgend jemand irgendwie billiger (!) machen kann. Leute die diese Leistung dann beziehen, werden dann die Opfer solcher Machenschaften.

        (Freies Zitat aus dem Gedächnis)

        Das Gleiche erleben wird jetzt bei WP und den Kommentaren zu diesem Artikel. Mit dem Hinweis "… für lau …" wird einfach ein Mangel an Qualität gerechtfertigt.

        Wie der Autor richtig bemerkt, ist dies bei anderen Seiten durchaus zulässig. Bei einem Nachschlagewerk, welches die Nachfolge von gebundenen Lexika antreten will (?) jedoch nicht. Der Hinweise auf andere Medien ist hier nicht zulässig, da wir von Nachschlagewerken (!) und nicht von Journalisten sprechen.

        Es ist das gleiche wie mit Open Source. Eine schöne Idee (meistens von Studenten) wird aufgrund vorhandener Zeit realisiert. Es entsteht ein Hype, welcher wirtschaftlich arbeitenden Unternehmen die Grundlage entzieht. Dann wird diese Idee von den Gründern oder Investoren kommerzialisiert und/oder "Kasse gemacht" (attraktive Jobs, IPOs, Dienstleistungen, etc.). Es werden Mängel bekannt, welche mit dem "Totschlagargument" " … für lau …" weggewischt werden. Die hehren Ziele des Anfangs sind dann uninteressant geworden. Die Unternehmen, welche die Grundlage entzogen wurde, fehlen dann allerdings als Maßstab.

        Wurde die Gesellschaft dadurch "ärmer" oder "reicher" ? Hat sich die "Leistung" dann nicht dem Niveau oder Bedürfnis des Durchschnitts angepasst, für den die daraus resultierenden niedrige Qualität "… für lau …" ausreichend ist ? Wird sich die Nachfrage nach "meinungsfreien" Artikeln wieder entwickeln ? Oder reicht die Illusion, dass man sich irgendwie informiert hat ?

        Ich finde diesen Kritischen Artikel / Kommentar gut. Auch wenn er der Fangemeinde nicht schmeckt. Vielleicht sollte sich WP bei politisierten Themen zurückhalten oder "Meinungsseiten" einrichten.

        Gruß,

        none

        P.S.: Ich nutze eifrig WP als Konsument.

        P.P.S.: Um unnötige Kommentare zu vermeiden. Studiert habe ich auch mal. Mit Abschluss.

        • Am 17. Juli 2008 um 19:39 von tutnixzursache

          AW: AW: AW: Übertriebene Feindseligkeit
          na, da sind wohl zwei Sachen durcheinandergeraten…

          1. ‚für lau‘-Argument gebe ich Dir teilweise Recht, aber die armen Unternehmen, denen angeblich der Boden weggezogen wurde, nehme ich Dir nicht ab! Wenn die nicht besser als ‚für lau‘ sind (wobei ‚besser‘ alles mögliche sein kann!), braucht’s die einfach nicht mehr, sorry.

          2. nur hat das mit der Qualität der Wikipedia und missbräuchlichen Manipulationen nicht viel zu tun. Wer garantiert Dir bittesehr, dass in den von (kommerziellen!!!) Verlagen herausgegebenen Schinken nur die reine, unverfälschte Wahrheit steht? Richtig: niemand! Auch dort hilft nur, sich aus mehreren voneinander unabhängigen Quellen zu informieren, das ist anstrengend und zeitraubend und wird daher von fast keinem getan.

          Was geschieht, wenn Du im Brockhaus usw. einen Fehler findest? Wenn Du den Nerv hast, die zu informieren, wird eventuell in der nächsten Auflage in 8-10 Jahren dieser Fehler korrigiert. In der Regel ärgerst Du Dich, und das wars, es passiert gar nix.

          Und da kommt die Stärke des Ansatzes von Wikipedia ins Spiel, wobei dies zugleich eine Schwäche ist.

          Vandalismus und Manipulation von aussen haben die mods&admins einigermaßen im Griff, Angriffe von innen sind überall ein sehr schwer handhabbares Problem.

          Am schwierigsten wird es, wenn der Angriff ‚in bester Absicht‘, also ohne jegliches Unrechtsgefühl oder böse Absicht geschieht.

          Das kann aber in Druckwerken oder kommerziell betreuten Online-Werken genau so passieren, oder aber die Aktualität oder der Umfang bleiben weit hinter dem gewünschten/möglichen/notwendigen zurück.

          Was (noch) fehlt, sind innere QM-Verfahren, aber soweit ich weiß, wird auch daran bereits gearbeitet.

          Also, kritisch lesen, Murks korrigieren mit Begründung auf der Disku und inneren Missbrauch sichtbar machen, dann wird es besser!

      • Am 9. Januar 2009 um 19:18 von Heinzelmann

        AW: AW: Übertriebene Feindseligkeit
        Gerade dem letzten Gedanken kann ich nur zustimmen, ich habe mir mal die Entwicklung dreier Artikel im "Brockhaus" von ca. 1870 über 1933/45 bis nach 1970 angeschaut – ganz schön viel dem jeweiligen politischen Klima im Reich, im Krieg, in der Republik, in der Diktatur und in Westdeutschland geschuldet, oder nach dem Mund geschrieben. Diese Art Einseitigkeit trifft also auch andere renommierte Nachschlagewerke. Schön bei Wikipedia: man hat (meist) die ganze Editierhistorie zum Nachgucken online (wenn ein Artikel nicht zwischendurch komplett gelöscht worden ist) und, vielleicht fordern die andern Prozesorhersteller oder deren Freude ja irgendwann mal massiv Gleichbehandlung ein. Auf Dauer glaube ich (noch) daran, dass dass geschehen wird und Erfolg haben wird.

  • Am 17. Juli 2008 um 12:52 von Stefan Kelter

    ähnliche Erfahrungen gibt es auch in der deutschen WP
    Ich habe ähnliche Erfahrungen als Author auch bei der deutschen Wikipedia gemacht. Nicht nur das Niveau der Korrekturen war mir zu niedrig. Auch der Umgangston. Ich habe mehrmals mitbekommen, wie jemand angepöbelt wurde. Und die Argumente waren manchmal hanebüchen. Da hat z. B. ein "Zensor", der in seinem Namen "Weißbier" trägt einen Artikel abgelehnt, weil es sich um eine therapeutische Körperarbeit handelte, die Namensschutz hatte. Sprich: Der Namensschutz sprach gegen den Artikel. Dieser "Zensor", der auch ansonsten häufig mit merkwürdigen Argumenten einen Artikel ablehnte, ist aber nicht der einzige, bei dem ich mich gefragt habe, ob der Alkoholspiegel vielleicht auch eine Rolle spielte. Aber statt meine Energie in Auseinandersetzungen zu stecken, habe ich mich zurück gezogen und schreibe nicht mehr bei Wikipedia.

  • Am 24. Juli 2008 um 19:41 von sand am meer

    das ende einer gesellschaft
    ja hiermit offenbart sich das gesellschaftliche paradoxon
    gespannt sein obs gelöst wird – oder zur selbstvernichtung führt?

  • Am 1. April 2009 um 13:34 von Bernd Hutschenreuther

    Nischengruppe: Hoffentlich: ja
    "Kann das bei Wikipedia funktionieren? Geht man davon aus, dass Wikipedia letztendlich ein Sammelbecken für Nischengruppen ist – jede davon gruppiert um ein Kernthema, das ihr besonders am Herzen liegt ?, dann ist das sehr fraglich. Denn damit ist Wikipedia letztendlich nichts anderes als sourceforge.org oder jeder andere Treffpunkt der Open-Source-Community."

    Natürlich schreibt man über das, was man am besten kennt. Ist man deshalb in einer Nischengruppe? Ganz bestimmt. Wenn man nicht in einer Nischengruppe wäre, könnte man nicht sinnvoll schreiben.

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