Offshore-Trend im IT-Bereich unvermeidlich

"Nationalistische Schützengräben" und "vaterlandslose Gesellen"

Die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland, in Nearshore-Standorte in Osteuropa oder in Offshore-Standorte wie Indien und China, ist nicht mehr aufzuhalten. „Ob Mittelstandsunternehmen mit nationalem Fokus oder international operierende Konzerne, der weltweite Wettbewerb erlaubt niemandem, unter Inkaufnahme von Standortnachteilen geschäftlich tätig zu sein. Besonders auch das Internet und E-Commerce tragen dazu bei, dass Angebote in kürzester Zeit verglichen werden können und unter Berücksichtigung von Kommunikations- und Transportkosten das attraktivste Angebot ausgewählt werden kann“, sagt Ralf Sürtenich von der Düsseldorfer Unternehmensberatung insieme business.

Nach Ansicht von Experten ist Deutschland nicht mehr zwingend ein Top-Standort für Hochtechnologie. „Das müssen auch deutsche Politfunktionäre zur Kenntnis nehmen. Wer sich in nationalistische Schützengräben verkriecht und Wirtschaftsvertreter als vaterlandslose Gesellen diffamiert, dokumentiert nur seine ökonomische Inkompetenz“, führt Sürtenich aus. Auch der Verweis auf zu hohe Lohnnebenkosten würde nicht weiterhelfen, wenn aufgrund völlig anderer Lebenshaltungskosten für die gleiche Leistung in Rumänien oder in Indien nur ein Viertel oder weniger gezahlt werden müsse.

„Dank konsequenter Investitionen in Bildung und Qualifikation sowie in Kommunikationstechnik befinden sich viele asiatische Länder heute auf der Überholspur. Südkorea etwa hat bereits eine DSL-Penetration, von der man in Deutschland noch nicht einmal zu träumen wagt. Während andere Länder in Europa längst das Selbstverständnis als Technologiestandort abgelegt haben und sich als internationale Finanz- und Dienstleistungsstandorte definieren, orientiert sich Deutschland immer noch an industriellen Produkten“, kritisiert Sürtenich. Dazu trage auch die deutsche Automobilindustrie bei, die unter den sehr spezifischen Bedingungen des deutschen Marktes – einer hohen Penetration mit Firmenwagen und geschäftlich genutzten Leasing-Fahrzeugen – ein wesentlich schlechteres Abschneiden der deutschen Industrie verhindere.

„Wenn ich an einem Standort weder günstiger produzieren kann, egal ob es sich um Produkte oder Dienstleistungen handelt, noch komparative Vorteile bei Transport und Verteilung in die Zielmärkte habe, ist die Produktion im internationalen Vergleich nicht haltbar. Sind die Unterschiede so gravierend wie zwischen Deutschland und den osteuropäischen und asiatischen Ländern, dann werden daran auch keine Reformen der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik oder selbst protektionistische Maßnahmen etwas ändern,“ so Sürtenich. Er sieht vielmehr die Notwendigkeit, den Schritt in die Dienstleistungsgesellschaft zu forcieren für innovative Marketing- und Vertriebsideen, international verteilte Service-Modelle, Finanzdienstleistungen, Serviceentwicklung, Anwendungsszenarien und Konzeptualisierung. Gerade das ständig wiederholte Zitat der „Servicewüste Deutschland“ schreie danach, mit Dienstleistungen aktiv zu werden.

„Bei PC-Peripherie wie Druckern wäre es völlig abwegig, so etwas in Deutschland zu produzieren. Auch die Technologie-Entwicklung für diese Technik ist kein Thema mit einem Vorteil für unseren Standort. Aber die Konzeption des Produktlebenszyklus, des Marketings für den deutschen Markt, ganz besonders der Aufbau und die Umsetzung des Service, das sind Leistungen, die lassen sich kaum sinnvoll und erfolgreich durch Auslagerung in Offshore-Länder durchführen“, so Michael Müller, Geschäftsführer der a & o Aftersales & Onsite Services GmbH in Neuss.

Müller sieht einen erheblichen Spielraum mit guten Erfolgschancen im Service-Geschäft für Technologie-Produkte: „Nehmen wir den Bereich Netzwerke und Telekommunikation. Zum Leidwesen einiger Hersteller drängen jetzt chinesische Firmen wie Huawei auch auf die europäischen Märkte. Das wird unweigerlich zu einem Preisverfall führen. Das Entscheidende aber für den Markterfolg wird der Service sein. Ein flexibler, anwenderfreundlicher und dabei preiswerter Service, gepaart mit innovativen Produktkonzepten hinsichtlich Aufrüstbarkeit, Migrationsfähigkeit und Zukunftssicherheit. Diese Faktoren werden über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Die Produkte und die Vertriebskonzepte müssen auf unsere Märkte zugeschnitten sein. Das erfordert spezifisches Know-how – Think global, act local – und der Service muss hier erbracht werden.“

Standortvorteile werden sich nach Ansicht von Müller immer wieder neu herausbilden und auch schnell verlagern: „Heute mag Indien ein Top-Standort für IT-Entwicklung sein. In fünf bis zehn Jahren kann sich das aber schon wieder verlagert haben, dann ist es vielleicht China. Der Versuch, Standortvorteile künstlich durch staatliche Regelungen zu erhalten oder zu erzeugen, ist ziemlich illusorisch. Man kann generelle Grundlagen schaffen, etwa durch Qualifizierung und Infrastruktur, auch durch Anreize für Unternehmensgründungen, man kann dafür sorgen, dass die Wirtschaft einen soliden Nachwuchs an jungen, innovativen Unternehmen hervorbringt, aber man kann nicht die Dynamik der Märkte aufhalten. Wenn die Entwicklung im internationalen Rahmen an Tempo zulegt, dann muss ich ebenfalls mehr Fahrt aufnehmen“, so Müller, der als Wirtschaftssenator beim Bundesverband mittelständische Wirtschaft.

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2 Kommentare zu Offshore-Trend im IT-Bereich unvermeidlich

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  • Am 24. März 2004 um 12:58 von Christoph

    Servicekonzepte
    Die Idee des Service, der nur lokal erbracht werden kann, ist bestechend. Aber dazu muss es in D. auch einen Markt geben, den man mit Marketing- und Supportkonzepten bearbeiten kann. Ohne entsprechende Investitionen und (mit Verlaub) Kaufkraft ist das aussichtslos.

  • Am 24. März 2004 um 14:43 von Mike Fitz

    Global Player
    Die Begriffe "nationalistische Schützengräben" und "vaterlandslose Gesellen" in diesem Artikel stimmen mich nachdenklich. Ich befürchte, daß ich meine "ökonomische Inkompetenz" an dieser Stelle ebenfalls dokumentieren muß. Sollten diese Begriffe gar an das angeborene schlechte Gewissen des Deutschen als solchen gerichtet sein um es weiter zum stillhalten zu bewegen? Zu indischen Preisen produzieren und zu europäischen Preisen verkaufen hilft UNSERER Wirtschaft kaum weiter. Es hat den Anschein, als daß sich die modernen Industriemagnaten als Nomaden sehen, die sich von Billigland zu Billigland bewegen um es profitabel zu nutzen.
    Es ist an der Zeit, regulierend auf die Wirtschaft einzugreifen um eine Klientel von Managern, Marktstrategen und Industriebossen – nicht nur aus dem IT – Bereich – an Ihre Verantwortung zu erinnern. Denn irgendwie scheinen sogar diese Leute und ihre Familien mit diesem Land verhaftet zu sein – sonst wären sie bestimmt schon gegangen. Der einfache Mann hat seine Grenzen fast erreicht – jetzt sollte unsere "Elite" Wissen und Kapital in dieses Land investieren. Nicht zuletzt als "Dankeschön" für das bisher hier verdiente Vermögen…

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