Fiorina: Alles oder nichts

Der Übergang verspricht für die Angestellten rau zu werden / Die neue Unternehmensstruktur kostet laut Experten Vielen den Arbeitsplatz

Palo Alto, Kalifornien – Für Carly Fiorina gibt es kein zurück und ganz bestimmt will sie derzeit keine „Was wäre wenn“-Szenarien besprechen. Die Vorstandsvorsitzende von Hewlett-Packard (HP; Börse Frankfurt: HWP) setzt mit dem vorgeschlagenen Kauf von Compaq (Börse Frankfurt: CPQ) alles auf eine Karte. Auf die Frage nach Plan B sieht Fiorina ihrem Gegenüber scharf ins Auge. „Nein“, sagt sie und weigert sich, über die Folgen eines möglichen Fehlschlags zu sprechen, „denn das ist eine Unmöglichkeit.“

Diese Entschlossenheit hat Fiorinas steilen Aufstieg die Karriereleiter hinauf begleitet, und nun ist es an der Zeit, sie zu beweisen. Der Ausgang der Compaq-Schlacht wird entscheiden, wie man in Zukunft über sie schreibt: als eine der geschicktesten Industrieführungspersönlichkeiten oder als einen der größten Reinfälle. Wie auch immer die Geschichte ausgeht, hat Fiorina doch bereits eines ihrer Ziele erreicht, das sie sich nach dem Wechsel von Lucent Technologies (Börse Frankfurt: LUC) zu HP gesetzt hatte: Für Veränderung zu sorgen.

1999 als Nachfolgerin des damaligen CEO Lew Platt angetreten, steht Fiorina dem auf etwa 13 Milliarden Dollar geschätzten Spinoff von Agilent Technologies vor, das von ihrem Vorgänger ins Leben gerufen wurde. Danach versuchte sie, das Beratungsunternehmen Pricewaterhouse Coopers zu erwerben. Mit 18 Milliarden Dollar wäre der Dienstleistungsbereich von HP dadurch in einem wichtigen und sehr profitablen Markt deutlich gestärkt worden. Zwar schlugen die Verhandlungen mit Pricewaterhouse Coopers letztendlich fehl, aber es war offensichtlich, dass die 47-Jährige mit Ausnahme des orangebraunen Teppichs aus den 1970ern nichts in der Firmenzentrale im Herzen des Silicon Valley beim Alten belassen wollte. Dann kam der Compaq-Blockbuster. Fiorina argumentierte, dass die Ehe mit dem rivalisierenden PC-Hersteller HP mit einem breiteren Produkt- und Leistungsspektrum ausrüsten würde. Aber die September-Ankündigung begründete auch einen Sturm der Kritik, durch den Fiorina in eine Defensivrolle gedrängt wurde.

Kritiker bezeichneten den vorgeschlagenen Deal als riskantes Glücksspiel. Sie urteilten, dass der Kauf HP keinesfalls gegen Dell im unerreichten Build-to-Order Direktgeschäft helfen würde. Auch würde die Attraktivität des Unternehmens als Alternative zu IBM (Börse Frankfurt: IBM) im High Level-Consulting und als Outsourcing-Partner für Dienstleistungen nicht gesteigert. Darüber hinaus warnten sie, dass der Zusammenschluss verschiedener Geschäfte und Unternehmenskulturen ein langwieriger und komplizierter Prozess sei. Hinzu kam dann noch die unerwünschte PR-Bombe: Die David and Lucile Packard Foundation, HP größter Aktionär, und Walter Hewlett sowie David Woodley Packard, Söhne der Firmengründer, waren gegen das Geschäft. Sie waren der Meinung, der Börsenkurs würde negativ beeinflusst werden und die seit 63 Jahren bestehende Unternehmenskultur von Offenheit und Konsens, der berühmte „HP Way“, würde zerstört. Der Verlust der Unterstützung der Familie, die 18 Prozent der stimmberechtigten Aktien vereint, ist für sich genommen noch kein Todesstoß. Aber der Widerstand setzt Fiorina unter starken Druck, denn nun muss sie die Zustimmung von beinahe zwei Dritteln der verbleibenden HP-Aktionäre gewinnen, um als Sieger dazustehen.

Wenn Wünsche Wahrheit werden

Falls das Geschäft nicht zustande kommt, wird Fiorina wohl einen Rücktritt dem Amt als angeschlagener CEO vorziehen. Und selbst wenn sie Erfolg hat, dürften schwere Zeiten auf sie zukommen, in denen HP sich einem weiteren großen Wandel unterzieht, um zur zentralen Anlaufstelle für Hardware und Dienstleistungen zu werden. „Können wir es vergeigen? Klar können wir’s vergeigen“, gibt sie offen zu. „Es gibt jede Menge Beispiele von Leuten, die es vergeigt haben. Aber eigentlich ist es gar nicht so schwer, es nicht zu vergeigen. Man muss sich nur klar machen, wie viel etwas wert ist und was das Ziel ist und dann dazu stehen.“ Als Geschichtsstudentin mit den Hauptfächern Mittelalterliche Studien und Philosophie an der Stanford University hat Fiorina Compaqs falsch angegangene Integration von Digital Equipment untersucht, eine Katastrophe, die zum Abschuss des früheren Compaq-CEO Eckhard Pfeiffer geführt hat. Trotz aller Fehler hält Fiorina den Kauf für unbedingt nötig; ansonsten hätte Compaq nicht die derzeitige Position im Markt für Highend-Computing, Speicher und Dienstleistungen erreichen können.

„Wenn daher behauptet wird, der Kauf (von Digital Equipment) sei ein Fehlschlag gewesen, ist das meiner Meinung nach eine zu starke Vereinfachung“, sagt sie. „Die anfängliche Integration war ganz klar schlecht, aber der Gewinn, den Compaq aus dem Kauf gezogen hat, sind ein sehr starkes Service-Business und ein sehr starkes Speicher-Business. Das sind gute Werte, die auch momentan sehr gut dastehen.“ Fiorina hat den Deal an der Wall Street seit dem letzen Herbst mit gemischten Ergebnissen verkündet. Da die Compaq-Übernahme während einer Baisse angekündigt wurde, ist es ihrer Aussage nach kein Wunder, dass es negative Reaktionen gab. „Im Moment hasst der Markt einfach alles“, meint sie. „Also war klar, dass auch dieses gehasst würde. Der Hass war größer, als wir gedacht haben, aber dass er da war, hat uns nicht überrascht.“

Eine bequeme Erklärung, aber sie vertuscht ihre holprige Vergangenheit in punkto Börseerwartungen. Zwar wurde Fiorina schnell von Analysten für ihre Restrukturierungspläne gelobt, aber sie wurde auch für ihren unrealistischen Enthusiasmus die Gewinnaussichten der Firma betreffend kritisiert – hochgesteckte Ziele, durch die die Wall Street die eigenen Gewinnerwartungen hoch angesetzt hat. Als der Markt im letzten Jahr nachgab, konnte das Unternehmen einige dieser Ziele nicht erreichen und viele Finanzanalysten verloren das Vertrauen in Fiorinas Schätzungen. Einige weisen auf eine Sitzung im Mai 2000 hin, auf der sie Analysten gegenüber Quartalsgewinnzunahmen von 15 Prozent und Unix-Gewinnzunahmen von 26 Prozent ankündigte. Das Unternehmen schrammte knapp an der Gesamtgewinnprognose vorbei und blieb ein gutes Stück hinter dem erwarteten Wachstum im Unix-Markt zurück.

„Schon damals wurde dieses Ziel als kritisch eingestuft“, sagt Daniel Kunstler, Analyst bei J.P. Morgan Chase. Danach verschlechterte sich die Wirtschaftslage, HP erreichte die Zahlen nicht und Fiorina verlor an Unterstützung. Dieser Verlust an Glaubwürdigkeit macht es viel schwerer, Herzen und Köpfe für sich zu gewinnen, besonders im Hinblick auf das Bild, dass die Hewlett und Packard Nachkommen von Fiorina zeichnen: jemand, der darauf aus ist, das Unternehmens- und Familienerbe zu zerstören. Sie lässt sich jedoch im Streben nach der Umkehrung dessen, was sie als Stillstand und bürokratische Verknöcherung ansieht, nicht beirren.

„Als ich zu HP stieß, war ich ganz ehrlich mit meiner Meinung, dass die Firma großartiges leistet, es aber auch ein paar Punkte gibt, in der wir nachlässig geworden sind“, berichtet Fiorina. Sie ignorierte Hinweise darauf, dass ein CEO, der auf Änderungen drängt – unter anderem solche, die viele Entlassungen nach sich ziehen – irgendwie den HP Way zerstört, selbst wenn ihre direkte Art für etwas Unruhe sorgt. „Ich war ganz offen zu den Leuten. Es ist eine Möglichkeit. Genau das wollen wir mit der Firma erreichen; dieses Umfeld möchten wir aufbauen“, proklamiert sie. „In vielen Fällen kehren wir zum alten Umfeld zurück. Bill Hewlett und Dave Packard waren für ihre Überprüfungen berühmt, und wenn ihnen Worte oder Tate in einer solchen Prüfung nicht gefielen, war der oder die Verantwortliche am nächsten Tag nicht mehr da.“ Der Übergang verspricht für die Angestellten rau zu werden, denn sie müssen sich mit einer neuen Unternehmensstruktur vertraut machen, die viele den Arbeitsplatz kosten wird. So hart dieses Anpassung auch ist, muss HP sich unbedingt ändern, urteilt John Jones, Analyst bei Salomon Smith Barney.

„Vieles von dem, was Fiorina tut, hätte meiner Meinung nach schon vor zehn Jahren getan werden sollen“, meint Jones. „Als Lou Gerstner 1993 zu IBM kam, wurde er von Analysten du der Presse zerrissen. Die Geschichte gibt ihm Recht, belegt durch zehnfach bessere Börsenbewertungen.“ Aber die Wall Street ist ein strenger Arbeitgeber. Bei Managern, die ihre Versprechungen nicht halten, gilt nicht „im Zweifel für den Angeklagten“. Fiorina hat viel Zeit damit verbracht zu erklären, wie die Übernahme HP ermöglicht, einen Wasserkopf zu schrumpfen, Produktlinien zu vereinen und bessere Konditionen mit Lieferanten auszuhandeln – mit wenig Erfolg. Sie ist frustriert, da ihre Aussagen aus dem Kontext gerissen wurden.

„Es gibt ein paar Analysten, die nicht gerade gut informiert sind“, behauptet sie und wartet auf eine Gelegenheit, ihre Kritiker eines besseren zu belehren. Und diese warten auf dieselbe Gelegenheit: sie eines besseren zu belehren und Lebewohl zu sagen.

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